Fünfte Szene

[51] WENDELBORN als Weltmann gekleidet, den hohen Hut sogleich aufsetzend, drängt sich durch die Vorhangsfalten heraus und zieht einen Stallmeister mit sich. Sagen Sie, Herr Stallmeister ...

DER STALLMEISTER sogleich sehr devot. Ganz zu dienen, hochzuverehrender Herr Wendelborn ...

WENDELBORN. Kennen Sie mich denn alle schon ...

DER STALLMEISTER mit Emphase. Ich bitte Sie ... hochverehrter Herr Wendelborn ... sagen Sie lieber, wer kennte in diesem Zirkus Herrn Tobias Buntschuh und Herrn Philipp Wendelborn nicht ... Sie sind sozusagen jetzt unsere größte Attraktion ...

WENDELBORN kurz. Daran bin ich am wenigsten schuld ... aber Herr Tobias Buntschuh ist auch rein wie ein ausgelassener Kobold heute ... wirklich ... er amüsiert sich göttlich und kindlich ... beinah, als ob er selbst eine Rolle hätte ...

DER STALLMEISTER. Tja ... und entfesselt den ganzen Zirkus ... denn die Menge achtet ja doch auf jeden Taktschlag seiner kleinen Hand ... es macht den sechstausend Menschen ordentlich Spaß, wie nach seinem Kommando zusammenzuwirken,[51] um uns arme Gaukelspieler mit Beifall zu überschütten ... einen so stürmischen Abend habe auch ich in unserem Zirkus kaum je erlebt ...

WENDELBORN sich unruhig umblickend. Freut mich ... freut mich ... ja ... wo ist denn nun aber ...

DER STALLMEISTER. Herr Wendelborn suchen ... Fräulein Luisa ...

WENDELBORN während er einen Blick wieder in den Zirkus tut. Nein ... doch nicht ... Versinnlich. ich suche ... die Kleine ... die kleine Schlange ... wie heißt sie doch gleich so nett mit ihrem Bürgernamen ... Grasmücke, glaub ich ...

DER STALLMEISTER. Aaah ... die kleine Radiana ... natürlich ... das hätte ich mir wohl gleich denken können ...

WENDELBORN. Die sollte doch wohl jetzt sicher in Fräulein Luisas Garderobe sein ...

DER STALLMEISTER. Oooh nein ... viel höher, mein Herr ... hahahaha ... sie hat seit heute bereits einen eigenen Garderoberaum angewiesen erhalten ...

WENDELBORN. So so ... wieso denn ...

DER STALLMEISTER. Das sollten Sie am wenigsten fragen, mein hochverehrter Herr Wendelborn ... denken Sie denn, daß in dem hohlen Bauche dieser mächtigen, bretternen Schaubude den Argusaugen und Argusohren des Herrn Direktors auch nur das geringste Quäntchen des Beifalls der Menge entgeht ... wir sind eine Börse ... hahahaha ... nämlich ... wenn es nun gar nicht bloß der Direktor schon merkt ... es auch die Pferde im Stalle wittern ... und die Esel in ihren Strohwinkeln selber dazu den Boden stampfen und Jiaa[52] schreien ... und die Kakadus auf den Stengeln es auskreischen: die kleine Dame entfesselt Stürme ... nein ... Plötzlich sehr gemessen. hier handelt es sich zunächst wirklich nur um die Gunst dieses mächtigen Herrn Tobias Buntschuh ... Herr Buntschuh ist ja richtig wie heiter gestimmt, jedesmal, wenn diese kleine, unscheinbare, unschuldige Person sich auch nur bei der geringsten Handreichung in der Manege blicken läßt ... Gott ... es ist ja ein Stern vierter Güte ... nicht ... sie ist zunächst eben nichts ... ganz wahrhaftig ... als höchstens ein keusches, unberührtes Mädchen ... das ist ja doch immer schon etwas ... hahahaha ... aber jetzt hat sie durchaus ihre eigene Garderobe ...

WENDELBORN. Ja ... also ... wo steckt also nun der weiße Hase ...

DER STALLMEISTER. Ich führe Sie hin ...

WENDELBORN im Abgehen nach rechts zu dem Stallmeister. Herr Tobias Buntschuh will sie unbedingt heute beim Souper haben ...


Beide ab.


Quelle:
Carl Hauptmann: Die goldnen Straßen. Leipzig 1918, S. 51-53.
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