Siebente Szene

[75] BUNTSCHUH erwacht. Macht jäh die Augen auf. Richtet sich auf und sieht die Mutter lange an. Aha ... na ja ... ich habe noch wüstes Zeug im Kopfe ... aber ich bin bewacht von den Mutteraugen ... und nicht von dem tückischen Kerle, dem Philipp ... der mich doch nur um alles beneidet ... und mir doch nur die wahre Seligkeit heimlich wegstiehlt ...

MUTTER BUNTSCHUH. Junge ... machst du endlich die Augen auf ...

BUNTSCHUH. Armes Herze ... um dich ist alles nur kalt und dürr im Leben ... Mutter ... schweige nur still ... wenn der eigenste Mensch mit dem eigensten Menschen innerste Zwiesprach gehalten ... und sich sozusagen die wahrste Wahrheit ins eigenste Herz geredet, da fühlt er den Kern ...[75]

MUTTER BUNTSCHUH. Guter Junge ... jetzt bekommst du doch wieder ein bissel Farbe in dein bleiches Gesicht ... laß doch deine Mutter dich wenigstens streicheln ...

BUNTSCHUH. Mutter ... ja richtig ... du bist die Mutter ... das hat gar nichts weiter zu sagen: die Zärtlichkeit, die nutzt mir gar nichts ... die hat mich in die Falle nur wieder tiefer hineingetrieben ... meine Mutter wird noch mit ihren Küssen über mich herfallen, wenn ich schon drei Tage auf der Bahre liege und stinke ... hahahaha ... Er röchelt nach Atem. ein stinkendes Genie ... das Streicheln nutzt mir gar nichts ... und wenn heute tausend freundliche Mutterhände mich streichelten ...

MUTTER BUNTSCHUH. Um unseres Heilands willen ... Tobias ... was redest du nur für furchtbare Dinge ... sage nur, was ist denn passiert in dieser einen Nacht ... gestern warst du noch stolz wie ein Pfauhahn, der das Rad schlägt ... redetest nur ewig von deiner großen neuen Erfindung ... sagtest geradezu: ein Stückel Gott, Mutter, bin ich ... sagtest sogar pfiffig: ein ziemlich großes Stückel Gott ist der göttliche Erfinder Tobias Buntschuh ...

BUNTSCHUH. Ja ja ja ... genug, genug ... von diesen hochtrabenden Redensarten ... Reichtum in meinen Goldschränken ist dafür mein Teil ... Mutter ... gib mir einen einzigen Menschen, der sich ohne Lohn und Gold für mich hinwirft ...

MUTTER BUNTSCHUH. Junge ... was willst du ... du wirst ja vergöttert ...

BUNTSCHUH. Nein, nein, nein ... gib mir einen einzigen Menschen, der sich ohne goldenen Lohn für mich hinwirft ...

MUTTER BUNTSCHUH. Denk doch an die Tausende deiner Leute ... die Leute verschlingen dich mit den Augen geradezu, wenn du auch nur eine Viertelstunde einmal durch deine Arbeitshallen gehst.[76]

BUNTSCHUH. Nur einen einzigen Menschen, der sich ohne goldenen Lohn für mich hinwirft ...

MUTTER BUNTSCHUH. Tobias ... du weißt, wie dich die Größten im Lande selbst mit Ruhm und Ehre überhäufen ...

BUNTSCHUH. Einen einzigen Menschen, der sich ohne goldenen Lohn für mich hinwirft ...

MUTTER BUNTSCHUH derb lachend. Du bist einfach ein verrückter Kerl mit deinem Geschrei ... ich will einen in diesem Falle gar nicht erst nennen ...

BUNTSCHUH plötzlich ganz gehässig verwandelt. Nein, nein, nein, nein ... erwähne den ja nicht ... erwähne den ja nicht ... lehre mich ja nicht Menschen kennen ... ich bin scharfsinnig wie Gott ... ich durchblicke die Menschen alle, als wenn sie von Glas wären ... für mich lauert hinter allen nur leere Gier, die mich hungrig anstarrt ...

MUTTER BUNTSCHUH. So ... guck mir gefälligst in meine Augen ...

BUNTSCHUH greift seinen Silberspiegel aus der Tasche. Starrt in den Spiegel. Ich kenne die Augen ... es sind dieselben ... sie sind nur Armut ... die Welt versagt ihnen nichts als die Stillung ...


Er gleitet an der Mutter, die ganz nahe vor ihm steht, plötzlich nieder und weint in ihrem Schoße bitterlich.


Quelle:
Carl Hauptmann: Die goldnen Straßen. Leipzig 1918, S. 75-77.
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