Vierte Szene

[368] DEMETRIUS tritt wieder auf.

Mein Volk ist feig!

PONIATOWSKY.

Nein, Herr, du bist nur tapfer,

Sie fochten besser, als ichs je gesehn.

DEMETRIUS lacht.

Auch die Kosaken?

PONIATOWSKY.

Warum fragst du noch?

DEMETRIUS.

Weil sie, wie Fliegen sind! Jetzt da, jetzt nicht,

Jetzt rasch gestochen, jetzt noch rascher fort –

Pfui, pfui!

PONIATOWSKY.

Das ist nun einmal ihre Weise,

Auch wär es übel, wenn sie davon ließen,

Dann wär der Feind die ärgste Plage los.

DEMETRIUS.

Ich sah auch Fische, oder träumt ichs nur?

Breite Gesichter, scharfe Backenknochen,

Und ohne Augen. Schauerliches Volk!

PONIATOWSKY.

Baschkiren und Kirgisen. Sehen doch

Und spießen einen Pfeil im schnellsten Fluge

So zierlich, daß ein Kreuz zur Erde fällt.

DEMETRIUS.

Die sind wohl aus der Moskwa aufgestiegen

Und kündigen uns Lachs und Karpfen an.[368]

MNICZEK.

Mein Zar, kein Ding auf Erden ist so schlecht,

Daß es nicht irgendwo unschätzbar wäre,

Ja, unersetzlich, wie das Edelste.

Dein Amt ist nun, die Stelle zu ermitteln,

Wo jedes einzig ist und einzig nützt,

Das aber gilt vor allem von dir selbst.

DEMETRIUS.

Ich kenne meinen Platz. Noch Schuß um Schuß!

Wie konnt ich säumen!


Will wieder fort.


MNICZEK.

Jüngling, hör den Greis,

Wenn denn der Fürst den Rat nicht hören will.

Die Arbeit ist getan, der Schlachten-Donner

Wird schon so schwach, daß die Trompete ihn

Fast übertönt. Jetzt kriecht der Hase aus

Und zeigt den Milchzahn. Drüben schießt der beste

Soldat zum letzten Mal die Büchse ab,

Und hüben kehrt das frechste Weib den Toten

Mit gierger Hand die erste Tasche um.

Der Troß verrichtet seine edlen Taten,

Indes sie in den alten Mauern losen,

Wer dir, den Strick um den gebückten Hals,

Die rostgen Schlüssel überbringen soll.

Und wenn du noch nicht ruhen kannst, so wirst

Du durch die Kugel fallen, die verröchelnd

Ein Sterbender aus dem umkrampften Rohr

Im Todeskampf gen Himmel schickt.

DEMETRIUS.

Still! Still!

Hier ist der Degen schon!


Reicht ihm den Degen hin.


MNICZEK.

Ich halt ihn fest,

Bis du gelobt, ihn niemals mehr zu brauchen,

Wie diesen Tag, so mutig du ihn schwangst.

DEMETRIUS.

Nein, nicht im Scherz gelob ich das! Ihr nennt

Mich tapfer, nun, ich weiß nicht viel von Furcht,

Und wenn das reicht für diesen hohen Titel,

So hab ich ihn verdient. Doch heute nicht,

Denn heute wär ich auch im Weiber-Rock

Ein Held geworden. Eine solche Schlacht[369]

Ist fürchterlich, wenn man sich sagen muß:

Sie wird für dich geschlagen! Jeder Schuß

Trifft dich ins Herz, du fällst mit jedem Toten,

Und windest dich mit jedem Sterbenden!

Und ich, ich hätt mich ferne halten sollen,

Anstatt mein Recht zu prüfen und dem Tod

Die nackte Brust zu bieten? Hütet euch,

Mich umzurufen, wenn das grause Spiel

Sich wiederholt! Mir wirds in Ewigkeit

Kein Hahnenkampf, bei dem man nur den Preis

Der Wette überschlägt, doch nicht die Qualen

Der armen blinden Tiere! Und ihr lauft

Gefahr, daß ich zum Rückzug blasen lasse,

Wenn ihr mir wehrt, mich selbst mit einzusetzen,

Das kann man nur ertragen, wenn mans teilt.

MNICZEK.

Und dennoch muß man.

DEMETRIUS.

Grolle mir nur nicht,

Daß ich – – Ich weiß, ein Bär ist höflicher,

Den man im Honiglecken stört. Vergib,

Wenns einem Zaren ansteht, so zu sprechen,

Sonst denk: er war von Sinnen und Verstand!

Allein mir war zumut, als müßt ich heut

Dem Allertapfersten den Kranz entreißen,

Wenn nicht der Feigste mich verspotten sollte,

Und meinem Vater hätt ich auch getrotzt.

MNICZEK.

Mein Fürst, es ist ein löbliches Gefühl,

Was dich bewegt, doch darfst du ihm nicht folgen,

Wenn du nicht größre Pflichten brechen willst.

Du bists ja nicht, für den das viele Blut

In Strömen fließt, das bilde dir nicht ein,

Was wärst denn du, daß Tausende für dich

Sich opferten? Es gilt der Majestät,

Dem ewigen Palladium der Welt,

Die ruht auf deinem jugendlichen Haupt,

Und diese hat von Anbeginn der Zeiten

Das große Recht, die Hölle zu entriegeln

Und alle ihre Schrecken los zu lassen,

Wenn sie den Feind nicht anders bändgen kann.[370]

Denn so gewiß es ist, daß sie allein

Die grimmgen Teufel an die Kette legte,

Die drunten heulen, so gewiß ists auch,

Daß sie sie alle wieder rufen darf,

Wenn sie geschändet und zertreten wird.

Drum laß den Tod nur rasen, wie er will,

Je grimmiger er wütet, um so besser,

Denn um so rascher wird das Werk vollbracht.

Doch stell dich ihm nicht selber in den Weg,

Denn wenn du fällst, so fällt die Macht zugleich,

Die ihn am Abend wieder fesseln kann,

Und keiner treibt ihn in sein Reich zurück.

DEMETRIUS.

Ich seh das ein, doch ich versprech dir nichts.

Nun will ich – Weißt du, was?

MNICZEK.

Gewiß! Dem König

Den Ausfall melden! Denn er wartet nur

Auf diesen Sieg, um auch mit einem Heer

Zu dir zu stoßen.

DEMETRIUS.

Das sei dein Geschäft,

Ich trags dir auf! – Errätst dus wirklich nicht?

So gibts auch Pflichten, welche du nicht kennst:

Ich will ein Mädchenherz beruhigen.


Ab ins Zelt, Mniczek folgt.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 2, München 1963, S. 368-371.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Diderot, Denis

Rameaus Neffe

Rameaus Neffe

In einem belebten Café plaudert der Neffe des bekannten Komponisten Rameau mit dem Erzähler über die unauflösliche Widersprüchlichkeit von Individuum und Gesellschaft, von Kunst und Moral. Der Text erschien zuerst 1805 in der deutschen Übersetzung von Goethe, das französische Original galt lange als verschollen, bis es 1891 - 130 Jahre nach seiner Entstehung - durch Zufall in einem Pariser Antiquariat entdeckt wurde.

74 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon