Neunte Szene

[379] SCHUISKOI mit seinem Generalstab.

Mein Fürst, vergönne erst, daß ich den Stern

Verehre, der mich her geleitet hat,

Wie der der Heiligen Drei Könige,

Als ich, wie sie, am Scheidewege stand.


Zu Marfa.


Erhabne Zarin, neige mir dein Ohr,

Alexis Schuiskoi schlägt die Stirn vor dir,

Du kennst sein Haus, wenn auch ihn selber nicht.


Zu Demetrius.


Mein Fürst, du hast den Sieg davon getragen,

Fast tuts mir leid, weil dir ein höherer

Dadurch entgeht. Noch hat die Welt-Geschichte

Das ungeheure Schauspiel nicht gesehn,

Daß sich der Sieger auf dem Schlachtfeld selbst

Den Kranz vom Haupte reißt und dem Besiegten[379]

Ihn auf den Knien errötend überreicht:

Heut wäre das geschehn.


Zu Marfa.


Wo du verweilst,

Da ist der echte Zar, wo Marfa segnet,

Muß Schuiskoi huldigen! Du trägst schon längst

Ein Himmels-Diadem im greisen Haar

Und Palmen, die nicht welken, in den Händen,

Und wenn du wiederkehrst ins Welt-Getümmel,

So ists, als ob ein selger Geist erscheint:

Er kommt, um einen Knoten aufzulösen,

Der unsrer Blindheit unentwirrbar ist,

Und schwingt sich, eh wir dankten, wieder auf.


Zu Demetrius.


O, möchten meine Fahnen stolzer rauschen,

Sie sanken zwar nicht ganz, und die Trompeten

Gewaltiger erschallen, daß es dir

Zu größrem Ruhm gereichte, wenn ich mich

Im Staub dir neige!


Zu Marfa.


Heilige, dir fehlts

Gewiß am Angebinde für den Sohn,

Denn du bist aus der Gruft empor gestiegen,

Und Tote sind so arm, wie Ungeborne:

Nimm mich zu deinem Sklaven an und schenke

Mich wieder weg an den von deinen Freunden,

Dem du den treusten aller Diener gönnst.


Zu beiden.


Ich hab zwar nur zwei Arme, wie ihr seht,

Doch hängt noch jetzt an jedem meiner Finger,

So viel ich auch verlor, ein kleines Heer.

DEMETRIUS.

Fürst Schuiskoi, hoch willkommen seid Ihr mir!

MNICZEK zu Marfa.

Siehst du? Der Boden blüht, wohin du trittst.

DEMETRIUS.

Wie viel der Truppen blieben unserm Feind?

SCHUISKOI.

Frag nicht darnach, und wärens Millionen:

Du schlägst sie alle durch ein einzges Blatt!

DEMETRIUS.

Was meinst du?

SCHUISKOI.

Gib die Bauern wieder frei.[380]

MNICZEK.

Wahr! Wahr! Das hätt ins Manifest gehört!

SCHUISKOI.

Und hebe das Verbot der Ehen auf,

Das noch weit schwerer auf den Adel drückt.

MNICZEK.

Ich weiß! Dein eigner Sohn. – Sogleich! Nicht wahr?

DEMETRIUS.

Das will im Staatsrat erst erwogen sein!

MNICZEK.

Ei was!

DEMETRIUS.

Ich kann darüber nicht entscheiden,

Doch wird geschehn, was recht und billig ist.

SCHUISKOI.

Und ist es billig, daß man Tausende,

Als wärens Bäume, an die Scholle fesselt,

Und ihnen Freiheit und Bewegung raubt?

DEMETRIUS.

Das scheint es nicht zu sein.

SCHUISKOI.

Und ists gerecht,

Daß man des Reiches älteste Geschlechter

Erstickt, damit kein Adel übrig bleibe,

Als der mit Boris aus dem Stall entsprang?

DEMETRIUS.

Wir werdens untersuchen.

SCHUISKOI.

Großer Zar,

Gewähr uns gleich, was du gewähren willst:

Ein edles Fräulein steht verzweifelnd zwischen

Der Schande und dem Tode, der Tyrann

Ist unerbittlich, rette du das Kind!

DEMETRIUS.

Das kann ich, ohne das Gesetz zu streichen,

Und tu es gern.

SCHUISKOI.

Es wäre aber gut –

DEMETRIUS.

Du willst mir doch nicht die Bedingung stellen?

Das Markten kommt zu spät.

MNICZEK.

Er meint ja nur,

Du würdest alles Blut-Vergießen hindern,

Wenn du ihm folgtest.

DEMETRIUS.

Und vielleicht dafür

Was Schlimmres tun! Es ist nicht alles schlecht,

Was Boris tat, und nichts bloß darum schlecht,

Weil er es tat. Wer sich vom Stall heraus

Den Weg zum Zaren-Thron zu bahnen weiß,

Der ist kein Tor! Genug, ich schlags nicht ab

Und sags nicht zu, es wird im Rat geprüft!


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 2, München 1963, S. 379-381.
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