Erste Szene


[387] Feierlicher Einzug des Demetrius. Viel Volk.


RURIK.

Ja, Kameraden, nun gibts Fest auf Fest!

Der neue Zar zieht ein, der alte aus,

Wir können uns nach Herzenslust ergötzen!

Wer jubeln will, der stellt sich auf bei uns,

Hier kommt der große Krönungszug vorbei,

Wer lieber flucht, der geht zum blauen Kloster,

Wo Godunow den letzten Umzug hält.

Hier goldne Wagen, Ehrenpforten, Kränze,

Und dort ein Sarg, den man mit Kot bewirft,

Man hat die Wahl und kanns nicht besser wünschen,

Ein jeder findet was für sein Gemüt.

OSSIP.

Nur schade, daß man sich nicht teilen kann,

Ich mögte beides haben, hier den Anfang

Und dort das Ende, ja das Ende wäre

Mir noch viel lieber, doch man muß wohl bleiben,

Denn Tote werfen keine Münzen aus.

RURIK.

Am schlimmsten ists, wenn eins das andre kreuzt.

Das haben wir erfahren, als die Zarin

Im Wochenbette starb. Das Kind lebendig,

Die Mutter tot, da gabs nicht Lust noch Leid.

PETROWITSCH.

Wißt ihrs gewiß, daß man dem toten Zaren

Zu Leibe darf?

RURIK.

Du willst ihn doch nicht prügeln?

PETROWITSCH.

Warum nicht? Aus dem Sarg mögt ich ihn reißen,

Und das am Bart.

RURIK.

Hat er dir was getan?

PETROWITSCH.

Ich dächte!

RURIK.

Dir der Zar? Bist du verrückt?

Was haben wir zu schaffen mit dem Zaren?

Der schlägt den Knäs, doch nicht den Bauersmann.

PETROWITSCH.

Wer hat uns den Andreas-Tag geraubt,[387]

An dem wir Bauern lustig, wie die Störche

Und Schwalben, in die Weite steuerten

Und mit der Sonne zogen? Jetzt muß jeder

Zu Hause bleiben und den Fleck bebauen,

Auf dem ers Laufen lernte! Alle Teufel,

Ich darf nicht fort aus Twer.

RURIK.

Und bist doch hier?

PETROWITSCH.

Auf Kosten meiner Ohren. Die betracht ich

Schon jetzt nicht mehr als Eigentum, und wenn

Sie mir erfrieren sollten, braucht mich keiner

Mit Schnee zu reiben, mir ists völlig gleich,

Sie kommen doch als Abfall vor die Schere.


Hebt einen Stein auf.


Du Hund!


Wirft ihn zur Erde.


O, daß dus fühltest!

RURIK.

Du stehst wirklich

Noch hinter uns zurück, das ist gewiß,

Wir dürfen doch verhungern, wo wir wollen!

Wer drängt denn wieder so?

OSSIP.

Das alte Weib!

RURIK.

So gebt ihr einen.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 2, München 1963, S. 387-388.
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