Erste Szene


[239] Bauernstube. Jacob und Barbara.


BARBARA. Ein für allemal. Wir sind arme Leute und haben gar nicht das Recht, barmherzig zu sein. Durch unsre Wohltaten können wir uns selbst wohl auf den Hund bringen, aber niemanden auf die Beine helfen.

JACOB. Hättest du den armen Menschen mit seinem Stelzfuß gesehen, du hättest ihm auch die Tür aufgemacht. Die Zähne klapperten ihm vor Frost, und doch war es so heiß, daß ein anderer gern sein Hemd ausgezogen hätte. Der Tod sah ihm aus den Augen.

BARBARA. Das ist noch das beste, daß er so schnell gestorben ist. Ich kochte ihm bei seinem eignen Bein die letzte Suppe, aber er hat sie nicht mehr gegessen.

JACOB. Bei seinem eignen Bein?

BARBARA. Bei dem Stelzfuß, ja. Das war wohl zu sehen, daß er nicht wieder aufkommen würde, und woher sollte ich Holz nehmen? Auch fragte ich ihn und er sagte nicht nein!

JACOB. Er sprach ja gar nicht. Nun liegt er im Grabe.

BARBARA. Ja wohl, und um ihn dahin zu befördern, haben wir Schulden machen müssen. Hättest du nicht für Branntewein und Tabak gesorgt, du hättest keinen einzigen Totenträger gefunden.

JACOB. Das wird bezahlt werden.

BARBARA. Auf Kosten des Kindes, das ich unter dem Herzen trage. Und einen unverschämteren Toten habe ich noch nie gesehen. Brauchte er nicht einen Sarg, noch einmal so lang, als du ihn brauchen wirst? Und du bist doch auch kein Zwerg, kein Kriech unter den Busch! Man fand dich nicht zu klein, als man die Soldaten für den Krieg aushob.

JACOB. Schweig nur endlich. Hat er dir denn etwa gar nichts ins Haus gebracht? Unter seinen Kleidungsstücken ist bei schlechtem Wetter noch dies und das brauchbar, besonders das große, bunte Tuch. Sieh da, das trägst du schon selbst um den Hals!

BARBARA. Mich ärgern die hochmütigen Reden, die er zuletzt[239] führte. Wir würden mehr bei ihm finden, als wir dächten! Dabei zeigte er auf seine Brust und sprach: die Tochter des Königs hats mir gegeben! Ich dachte: dort hat er in der wollenen Jacke so viel eingenäht, daß man ihn dafür unter die Erde bringen kann. Als er tot war, untersuchte ich die Sache. Aber was fand ich? Keinen goldenen Dukaten, wie ihn vielleicht Prinzessinnen, wenn sie mit Sechsen vorüberfahren, aus der Kutsche einem lahmen Bettler zuwerfen, nicht einmal einen harten Taler, wie ich doch zum allerwenigsten erwartet hatte, sondern einen Stein!

JACOB. Einen Stein?

BARBARA. Nichts anderes.

JACOB. Davon hast du mir ja kein Wort gesagt.

BARBARA. Es verlohnte wohl auch der Mühe. Vor Wut über meine getäuschte Hoffnung warf ich ihn aus dem Fenster.

JACOB. Das war verkehrt.

BARBARA. Nun, ich hab ihn wieder aufgelesen, als ich nachher zum Wasserschöpfen ging, denn er funkelte gar zu prächtig im Sonnenschein. Es ist ja doch vielleicht ein Ding, womit man das Kind zum Schweigen bringt, wenn es schreit.

JACOB. Gib ihn einmal her.

BARBARA. Hol ihn dir selbst, ich habe keine Zeit, ich muß in die Küche. Dort im Kasten liegt er, worin du deine rostigen Nägel aufbewahrst. Ab.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 239-240.
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