Dritte Szene


[258] Jacob tritt ihm entgegen.


DOKTOR PFEFFER zu Block. Schämt Euch, ein Riese, wie Ihr, läßt einen Zwerg, wie den, entwischen?

BLOCK. Nun vergrößert Ihr mich doch offenbar nur, um mich zu verkleinern!

JACOB. Sieh da, der Jude! Nun bin ich ein Mörder, sobald man ein Vaterunser betet. Ob ich gleich über ihn herfalle? Daß ich[258] ein Narr wäre! Erst will ich wissen, wo der Stein blieb. Ich bin ein Schuft, wo ich ihn erschlage, wenn er mir das nicht zuvor sagt! Zu Benjamin. Heda! Was dünkt dir zu diesem Knittel? Findest du ihn dick genug?

BENJAMIN. Was wollt Ihr? Ich kenn Euch nicht! Für sich. Das könnt ich fast beschwören. Ich sah nicht auf ihn, sondern nur auf den Diamant!

JACOB tritt näher. Kennst mich nicht?

BENJAMIN. Doch! Doch! Bleibt nur, wo Ihr seid, ich besinne mich auf Euch! Vergebt, kurzsichtig hat Gott mich erschaffen, mir ists begegnet, daß ich den eignen Vater für einen Fremden hielt und ihn nach Herkunft und Geschäft fragte.

JACOB. Wo hast du meinen Stein?

BENJAMIN. Ihr meint den Stein, den ich Euch für einen Taler abkaufte? Den hab ich an einen Drechsler gegeben, um mir – ich sagte es Euch – einen Stockknopf daraus machen zu lassen, aber er ist zersprungen, mein Stock – Ihr sehts, der Beweis ist da – ist noch immer ohne Knopf. Ihr habt mich angeführt, doch sag ich das nicht, um es Euch vorzuwerfen, warum sah ich nicht besser zu?

JACOB. Lug und Trug! Her mit dem Stein, oder – Siehst du den Regenwurm hier, und siehst du, wie ich ihn zertrete? Du sahst dein eignes Schicksal!

BENJAMIN. Sprecht doch nicht so laut von dem Stein! Es sind Leute in der Nähe, kann nicht der Eigentümer darunter sein? Der Stein – nun ja, er hat einen gewissen Wert, es ist –

JACOB. Ein Edelstein!

BENJAMIN. Das nun wohl nicht, aber es gibt vielleicht noch außer Euch Leute in der Welt, die ihn dafür halten, wenn man verhütet, daß sie ihn anders, als bei Zwielicht sehen. Nun hört mich ruhig an. Aber eins sagt mir zuvor: glaubt Ihr, daß ein Mensch, wie ich, ein Gewissen hat, oder nicht?

JACOB. Hund, du hast mich bestohlen. Meinst du, ich werde ja sagen?

BENJAMIN. Also Ihr sagt nein? Um so besser! Denn um so größer wird die Scham sein, die Ihr empfindet, wenn ich Euch nun gleich durch die Tat das Gegenteil beweise. Wißt Ihr, warum ich Euren Stein heimlich einsteckte? Nur, weil ich Euch bereit[259] sah, ihn ganz unterm Wert wegzuschleudern. Ihr fodertet hundert Taler, Ihr hättet ihn auch für funfzig gegeben, könnt Ihrs leugnen? Ich trug die Lumperei nicht bei mir, aber schon sah ich von fern einen anderen von unseren Leuten auf Eure Hütte zukommen. Ich dachte: der Bauer wird den heranrufen, wie er dich herangerufen hat, und sein Kleinod ist für dich, wie für ihn selbst, verloren. Nein, rief ich aus, das soll nicht geschehen! Lieber willst du selbst einen scheinbaren Diebstahl begehen, als zulassen, daß ein armer Mann durch den ärgsten Gauner um sein ganzes Lebensglück betrogen werde. Ich nahm den Stein und ging. Aber wißt Ihr, wie ich wiederzukommen dachte? Zwei Säcke voll Geld unter dem Arm. Heran schleichen wollt ich mich, mich unterm Fenster verstecken und durch die Scheiben eine Handvoll nach der andern hineinwerfen. Dann wollt ich mich aufrichten und vor Euch hintreten, und Euch fragen, was ich für ein Mann sei. Um diese Überraschung habt Ihr Euch selbst gebracht!

JACOB. Wo sind die Geldsäcke?

BENJAMIN. Hab ich denn den Stein schon verkauft? Hab ich schon einen damit angeführt?

JACOB. Dann her mit dem Stein!

BENJAMIN. Wie Ihr wollt! Greift in die Tasche. Was ist das? Ei, eben hatt ich ihn ja noch! Zu Jacob. Schaut Euch doch mal um, ob Ihr ihn nicht liegen seht! Verfluchter Schneider! Das sind Taschen! Von der Seite kam ich her!

JACOB dreht sich um.

BENJAMIN sucht zu entspringen.

DOKTOR PFEFFER vertritt ihm den Weg.

JACOB zu Benjamin. Was, Hund? Willst davon laufen und mir nicht einmal suchen helfen? Zu Doktor Pfeffer. Tretet nicht so viel hier herum! Mir ist hier durch den Juden ein Edelstein verloren gegangen.

DOKTOR PFEFFER. Glaubst dus dem Juden?

JACOB. Nun Ihr mich so gefragt habt, nicht mehr!

BLOCK. Noch eben bat der Jude den Doktor um Hülfe, weil er einen Stein verschluckt habe. Wenn er Euch also einen Edelstein stahl, so trägt er ihn ganz gewiß im Bauch!

JACOB. Im Bauch?[260]

DOKTOR PFEFFER. Aber Bauer, es ist nicht recht glaublich, daß du Besitzer von Edelsteinen bist.

JACOB. Nein, Herr, das ist wahr. Gehts mir doch selbst so, wie sollt es Euch anders gehen? Wenn ich mich vom Kopf bis zu den Füßen betrachte, kommen mir so viele Zweifel, als ich Löcher in meinem Rock und Risse in meinen Stiefeln bemerke. Aber dann sag ich mir wieder, was ich mir gleich sagte: wenn der Stein wirklich keinen Wert hätte, würde der Jude ihn gestohlen haben? Nun hör ich sogar, daß er ihn verschlungen hat. Ich bitt Euch: wird er Quarze und Kiesel verschlingen?

DOKTOR PFEFFER. Das ist wahr. So nimm den Kerl beim Kragen und schlepp ihn vor den Richter. Ich begleite dich.

JACOB. Das will ich tun! Zu Benjamin. Marsch, Spitzbube! Er zieht ein Messer heraus. Vor mir hergeschritten, wie ein Rekrut vor dem Korporal. Und bei der ersten verdächtigen Bewegung, die du machst, fährt dir die Klinge ins Genick! Ja! Und singen sollst du unterwegs, Lieder sollst du singen, lustige oder traurige, wie du willst, damit du keine Zeit hast, Lügen zu spinnen!

DOKTOR PFEFFER. Du erzählst mir, während wir gehen, wie du zu dem Stein gekommen bist! Alle ab.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 258-261.
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