Vierte Szene


[261] Der Prinz und der Graf treten auf.


DER GRAF. Eine solche Leidenschaft, gnädigster Herr –

DER PRINZ. Ist die unglücklichste, die sich denken läßt! Wolltest du das nicht sagen? Gut. Ich gebe es zu. Aber wozu führt dies? Nenns Glück, nenns Unglück, nenns Krankheit, nenns Gesundheit, gleich viel, aber hilf dem, den du für unglücklich hältst, mache den gesund, der dir krank erscheint!

DER GRAF. So plötzlich, so unerwartet –

DER PRINZ. Es tut mir leid, daß ich dir etwas gesagt habe! Hätt ich doch lieber einen Baum zu meinem Vertrauten erwählt! Er hätte mir kein Wort geantwortet. Wie herrlich! Dann hätt ich doch auch das nicht zu hören bekommen, was mir in tiefster Seele zuwider, und womit mein liebster Freund so freigebig ist. Nicht diese gründlichen Einwände, die sich auf tausend[261] Weils und Darums stützen, und die doch an der Sache nicht das Geringste verändern. Er hätte ebenso ernsthaft geblickt, wie du, er hätte sein Haupt vielleicht ebenso gravitätisch geschüttelt. Aber, wenn ich mir den Kopf an seinem Stamm einstoßen wollte, so würde er nicht zurückweichen. Ob du mir dein Schwert leihen würdest, um diesem gepreßten, glühenden Herzen Luft zu machen, das ist noch die Frage.

DER GRAF. Sie mißkennen mich, gnädigster Herr.

DER PRINZ. Ja, liebster Walter? Also du hast ein Mittel? Du weißt, wie mir zu helfen ist? Sprich! Blicke nicht länger finster! Hab ich dich beleidigt? Dich – dich will ich gern um Verzeihung bitten!

DER GRAF. Ich sinne –

DER PRINZ. Laß dich nicht stören! Soll ich dich allein lassen?

DER GRAF. Ich sinne umsonst, wollt ich sagen. Alles, was geschehen konnte, ist geschehen!

DER PRINZ. Alles? Alles? Dies alles, du weißt es, hat zu nichts geführt. Was ist dein alles, wenn es nichts ist! O Walter, hättest du die Unglückliche gesehen, wie ich sie sah, du würdest jede Faser deines Gehirns so lange anstrengen, bis sie risse oder dir diente! Aber hab ich dir auch alles gesagt? Verbarg ich dir nichts? Weißt du, was ich weiß?

DER GRAF. Ich weiß, daß sie wahnsinnig ist!

DER PRINZ. Wahnsinnig! Hu! Welch ein schaudriges Wort! Nein, Walter, brauch es nicht, dies Wort! Wahnsinnige! Das sind düstre Menschen mit verwilderten Gesichtern! Ich sehe die Ecken, wo sie kauern. Aber sie! Nein, nein, das ist kein Wahnsinn!

DER GRAF. Sei es, was es sei, es ist nicht, was es sein soll.

DER PRINZ. Gott! Gott! Sie kann sterben, indem wir reden! Nun, kalter, säumiger Freund, vor deinen Ohren wiederhole ich den Schwur, den ich im Innersten meiner Seele tat: wenn sie stirbt, so bin ich der erste, der nach ihr stirbt, mein schnelles Schwert soll dann selbst den überholen, der schon im Todeskampf röchelt. O, der Schwur ist törigt! Es ist, als ob ich schwüre, daß ich an einem Stoß durchs Herz wirklich sterben wolle.

DER GRAF. Gnädigster Herr, ich ehre Ihren Schmerz und trage ihn, wie den meinigen, aber urteilen Sie selbst: was bleibt uns zu[262] tun übrig? Der Diamant ist spurlos verschwunden, die Prinzessin glaubt, sie muß sterben –

DER PRINZ. Sie muß sterben? O, ich ahnte es wohl, daß du nicht alles wußtest! Gibts doch ein Unglück, so groß, daß man nicht darüber spricht, weil man meint, es könne keinem unbekannt sein, jeder müsse es mitfühlen, wie einen Stich durch die Welt! Seit gestern glaubt sie, daß sie gestorben ist!

DER GRAF. Unmöglich!

DER PRINZ. Die ganze Nacht hatte sie, wie gewöhnlich, aufrecht in ihrem Bette gesessen, und still und lächelnd vor sich hingeblickt, wie ein Kind, das in eine schöne Blume hineinschaut. Dann, mit Anbruch des Morgens, war sie ermüdet zurückgesunken. Aber auf einmal richtet sie sich ängstlich auf, spricht: noch nicht! noch nicht! und ruft nach ihrer Mutter. Die Königin erscheint. Schnell, Mutter, schnell! ruft sie ihr entgegen. Ich wußte wohl, daß ich nicht sterben würde, bevor ich einen Trost für dich ersonnen hätte! Jetzt hab ich den, und meine Stunde ist da! Die Königin eilt auf sie zu und schließt sie in ihre Arme. Die Augen fallen ihr zu, sie reißt sie wieder auf und kämpft mit dem Schlaf, als ob sie mit dem Tod zu kämpfen glaubte. Doch die erschöpfte Natur erliegt, die Mutter lehnt sie leise zurück, noch im Schlaf bewegt sie die Lippen. Lange, lange hatte sie nicht mehr geschlafen, man hoffte alles von dieser tiefen, erquicklichen Ruhe. Schreckliche Täuschung! Gegen den Abend erwachte sie. »Endlich! Endlich! – rief sie aus – o, der Weg ist weit!« Dann schaute sie mit Verwunderung auf ihre Umgebung. »Sah ich denn das alles nicht schon da unten auf jenem Stern, den sie die Erde nennen, oder schwimmt es mir nur noch vor den Augen und verhüllt mir den Glanz des Himmels?« So sprach sie leise vor sich hin. Die Königin trat in die Tür. »O, dich kenn ich wohl – rief sie ihr entgegen – du bist meine Mutter, wie schön, daß das liebste Bild das erste ist, welches mir hier erscheint!« Tränen traten der Königin in die Augen. »So sieht meine arme Mutter jetzt wohl jetzt aus – sprach die Kranke – hat sie mich denn nicht verstanden, als ich sie tröstete?« Nun warf sie sich auf die Knie und betete, dann stand sie wieder auf und sprach: »Ich habe Gott angefleht, daß er meiner Mutter mein Bild vorführen möge, wie[263] mir das ihrige, ich will lächeln, damit auch sie lächle, wenn sie mich im Traum erblickt und sieht, wie glücklich ich bin!« Nun lächelte sie, als ob sie entzückt wäre. Genug, sie glaubt sich gestorben, und was das Entsetzlichste ist, sie nimmt nicht Speise und Trank mehr zu sich!

DER GRAF. Das läßt ja selbst für den Fall, daß der Diamant wieder entdeckt würde, kaum noch Hoffnung zu!

DER PRINZ. Da sind die Ärzte Gott Lob anderer Meinung. Sie glauben, daß der Anblick des Steins eine augenblickliche Krisis herbeiführen wird. Und warum sollten die Wahngebilde nicht schwinden, sobald ihre Quelle verstopft ist? Nur darum handelt sichs, wie man den Stein auftreiben soll.

DER GRAF. Der Stein wird sich finden. Das königliche Mandat das dem Bringer, statt Strafe, eine halbe Million sichert, bürgt mir dafür. Vielleicht ist er schon da. Wir sollten an den Hof zurückkehren!

DER PRINZ. Wer hält es aus, dem grenzenlosen Elend im Gefühl seiner Ohnmacht fort und fort gegenüberzustehen, das Liebste, das Teuerste hinschwinden zu sehen und sich immer zu wiederholen: Du kannst nichts tun! O, ich werde rasend, wenn ich mir denke, daß das holdseligste Wesen der Erde vielleicht eines jammervollen Todes sterben muß, weil irgend ein ängstlicher Geizhals nicht früh genug mit sich fertig werden kann, ob er dem Wort des Königs trauen dürfe oder nicht. Nein, Walter, an den Hof kehre ich erst dann zurück, wenn das höchste Entzücken oder die tiefste Verzweiflung mich ruft. Bis dahin wollen wir streifen, reiten. Du meintest gestern, der Zufall allein könne helfen. Wohlan, ich will mir einbilden, der Zufall sei um ein Werkzeug verlegen und suche mich, wie ich ihn! Beide ab.

Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 261-264.
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