Dritte Szene


[286] Der Prinz, der Graf, Doktor Pfeffer, Richter Kilian, Block, Jacob und Jörg treten auf.


JACOB springt auf Benjamin zu. Da hab ich sie! Da hab ich meine halbe Million!

BENJAMIN entspringt und stellt sich hinter Kilian. Hier steh ich, wie hinter einem Baum![286]

JACOB. Hier ists nicht geheuer. In einer und derselben Minute sieht man etwas und siehts nicht.

DER PRINZ. Weiter!

KILIAN wendet sich hastig; er sieht Benjamin und packt ihn. Der Jude, Durchlaucht, der Jude!

DER PRINZ. Leuchtet dem Menschen ins Gesicht! Ists der rechte?

DOKTOR PFEFFER tuts. Guten Abend, Benjamin! Er ists.

DER PRINZ. Schließt einen Kreis! Die Fackeln herbei! Es geschieht. Und nun, Doktor, ans Werk! Dies letzte zu Kilian.

KILIAN. Ich?

DER PRINZ. Wer sonst?

DER GRAF. Würde der Jude nicht besser, so wie er dasteht, nach der Residenz abgeführt?

DER PRINZ. Nein. Das gäbe nur neue Zögerungen, neue Bedenklichkeiten! Zu Kilian. Schnell!

KILIAN. Ich – ich ließ die Instrumente zurück.

DOKTOR PFEFFER zieht sie hervor. Da sind sie, Herr Doktor, ich bemerkte Eure Vergeßlichkeit und steckte sie zu mir!

KILIAN zu Doktor Pfeffer. Plagt Euch der Teufel? Ich kann keinen kalekutischen Hahn tranchieren und sollte einem Menschen den Leib aufschneiden? Nein, darauf laß ich mich nicht ein!

DOKTOR PFEFFER. Stellt Euch nur, als ob Ihr darangehen wolltet, dann fallt in Ohnmacht.

KILIAN. Dabei macht man die Augen zu, nicht wahr?

DOKTOR PFEFFER. Allerdings.

KILIAN. Schlägt auch mit Fäusten um sich?

DOKTOR PFEFFER. Bewahre! Ihr laßt die Arme niederhängen, wie die Toten.

KILIAN. Wenn ich mir nur nichts entzwei falle! Laut. Man halte den Juden fest und entkleide ihn!

JACOB. Ich hab ihn schon lange beim Kragen!

KILIAN. So wollen wir denn an die Operation gehen!

BENJAMIN. Ich protestiere! Ich protestiere!

DOKTOR PFEFFER. Beschnittener Protestant, wir glaubens dir.

BENJAMIN. Ich protestiere gegen alles, und zunächst gegen einen solchen Doktor. Das ist ja gar kein Doktor, das ist ja der Richter!

DOKTOR PFEFFER. Die Todesangst macht den Menschen verrückt. Zu Benjamin. Ist jener Baum da nicht dein Vater?[287]

BENJAMIN. Verrückt? Was? Ich bin nicht verrückt! Meinen eignen Widersacher ruf ich zum Zeugen auf! Sag an, Bauer, ist dieser Mann, der sich jetzt für einen Doktor ausgibt, nicht der Richter, bei dem du mich verklagtest? Und ist der andere mit der Schmarre über die Nase nicht der Doktor?

JACOB. Wenn ich antworten muß, so muß ich auch ja sagen!

DER GRAF Kilian und Doktor Pfeffer fixierend. Was ist das? Man hätte sich vor den Augen seiner Durchlaucht so sonderbaren Betrug erlaubt?

KILIAN für sich. Ich spreche nicht zuerst. Der Doktor ist pfiffig für ein ganzes Regiment, und doch wett ich, er merkt nicht, warum ich jetzt schweige.

DOKTOR PFEFFER. Wir sind beide ohne Zweifel strafbar, aber doch nicht so sehr, als es scheinen mag. Dieser arme, alte Mann, der Richter, verlor den Kopf, als er in einem und demselben Augenblick die Flucht des Juden und die Ankunft Ew. Durchlaucht erfuhr. Jupiter kann es selbst unmöglich wissen, wieviel Schreck sein Donnerkeil einflößt; so kann auch ein Prinz es sich schwerlich vorstellen, wie geringen Leuten zumute wird, wenn er von der Höhe der Majestät einmal zu ihnen herniedersteigt. Der alte Mann war im Begriff, sich ein Leides anzutun; ich weiß nicht recht, Zu Kilian. wolltet Ihr ins Wasser gehen, oder –

KILIAN. Ins Wasser! Für sich. Wie scharf der Doktor sieht! Ich dachte wirklich an den tiefen Teich hinter meinem Garten, in dem sich vor Jahren der Schulmeister ertränkte, als er dem Pfarrer eine Ohrfeige gegeben hatte.

DOKTOR PFEFFER. Da erbarmte es mich sein, ich glaubte, es sei meine Pflicht, einen Selbstmord zu verhüten und gab mich auf sein flehentliches Bitten für den Richter aus. Wenn das ein Verbrechen war, so war es eins gegen die Fische. Denen raubte ich ihre Beute, und zwar eine höchst ansehnliche.

DER PRINZ. Sei hier Richter oder Doktor, wer will, nur daß, wer Doktor ist, nicht länger säume!

DOKTOR PFEFFER. Streckt den Juden am Boden hin!

BLOCK zu Jörg. Nun werden wir zu sehen kriegen, ob ein Mensch inwendig wirklich, wie ein Schwein aussieht!

BENJAMIN. Durchlauchtigster Herr, allergnädigster Prinz, Erbarmen,[288] Erbarmen! Ich habe den Diamant nicht mehr im Leibe, ich habe ihn von mir gegeben!

DOKTOR PFEFFER. So gib ihn her!

BENJAMIN. Ach, der Gefängniswärter hat ihn mir geraubt. Der böse Mensch stellte sich, als ob er mich aus Mitleid befreie, aber als wir mitten im Walde waren, fiel er mich mörderisch an, und die Angst, die sein blinkendes Messer mir durch die Glieder jagte, bewirkte das auf einmal, was alle Mittel, deren ich mich vorher bediente, nicht hatten bewirken können.

KILIAN. Das ist eine neue Lüge.

BENJAMIN. Eine Lüge? Zehn Gelehrte mögen kommen und den fürchterlichsten Eid zusammensetzen, ich will ihn schwören und nicht einmal stottern.

DOKTOR PFEFFER. Ew. Durchlaucht haben zu befehlen.

DER PRINZ. Ich befahl bereits. Was fragt Ihr noch?

DOKTOR PFEFFER legt Hand an Benjamin.

BENJAMIN reißt sich los. O Schicksal, verfluchtes Schicksal, bist denn du allein außer aller Verantwortlichkeit und darfst tun, was du willst? Ist es nicht genug, daß ich den Diamant verlor, muß ich nun auch noch sterben, weil diese glauben, daß ich ihn noch besitze? O, daß ich wieder Bauchgrimmen bekäme, wie vorher! Dann würd ich doch die Stiche und Schnitte nicht so fühlen! Oder, daß ich verrückt würde und mir einbildete, ich sei ein Stück Holz, aus dem mit dem Schnitz-Messer ein Gott herausgegraben werden solle! Verrückt? Mir deucht, ich bin es schon, denn der muß es wohl sein, der es zu werden wünscht. Heidi und Hopsa sa! Er fängt zu singen und zu tanzen an. Warum bin ich nicht unter Türken! Denen sind die Wahnsinnigen heilig!

DER JÄGER hinter der Szene. Steh, oder ich schieße!

BENJAMIN hält im Tanzen ein. Gilt das mir? Ich stehe!


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 286-289.
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