's ist Mitternacht

[174] 's ist Mitternacht!

Der Eine schläft, der And're wacht.

Er schaut bei'm blauen Mondenlicht

Dem Schläfer still in's Angesicht;

D'rin thut ein böser Traum sich kund

Wie seltsam zuckt er mit dem Mund!

's ist Mitternacht,

Der Eine schläft, der And're wacht.


's ist Mitternacht!

Der Eine schläft, der And're wacht!

»So sah der Freund noch immer aus,

Er greift zum Dolch, es macht mir Graus,

Er stößt, er lacht – du triffst ja mich!

Erwache doch! Ich rüttle dich!«

's ist Mitternacht!

Der And're ist nur halb erwacht.


's ist Mitternacht!

Der And're ist nur halb erwacht!

Er stiert, er ruft: so lebst du noch,

Verruchter, und ich traf dich doch?[174]

So nimm noch den! Hei! der war gut!

Warm spritzt mir in's Gesicht dein Blut!

's ist Mitternacht!

Nun schlafen Beide, Keiner wacht.


's ist Mitternacht!

Sie schlafen Beide, Keiner wacht!

Du wüste Eul' im Eibenbaum,

Du krächztest ihn in diesen Traum,

Nun fängt die häm'sche Dohle an,

Ob sie ihn nicht erwecken kann.

's ist Mitternacht,

Gott gebe, daß er nie erwacht!


Quelle:
Friedrich Hebbel: Sämtliche Werke. 1. Abteilung: Werke, Berlin [1911 ff], S. 174-175.
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