Virgo et Mater

[178] Der Jungfrau Bild,

Im Arm das Kind,

Blickt sanft und mild

Durch Nacht und Wind.

Ein armes Mägdlein knie't davor,

Sie schaut nur dann und wann empor,[178]

Doch, wenn das Lämpchen Funken sprüht,

So sieht man, wie sie glüht.


Die Lampe geht

Auf einmal aus;

Ihr Athem steht,

Sie schwankt nach Haus.

Die Jungfrau kann ihr nicht verzeih'n,

Die Mutter wird sie benedei'n,

Stellt sie der Heil'gen über's Jahr

Mit ihrem Kind sich dar.


Sie fühlt's, und spricht:

Du reine Magd,

Dir gleich' ich nicht,

Doch unverzagt!

Dir, Mutter, die der Sohn erkannt,

Die unter'm Kreuz noch bei ihm stand,

Dir will ich gleichen für und für,

Und dann vergiebst du mir!


Quelle:
Friedrich Hebbel: Sämtliche Werke. 1. Abteilung: Werke, Berlin [1911 ff], S. 178-179.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte (Ausgabe letzter Hand)
Gedichte
Werke, 5 Bde., Bd.3, Gedichte, Erzählungen, Schriften
Die schönsten Liebesgedichte (insel taschenbuch)
Gedichte
Gedichte