Der Mensch und die Geschichte

[320] Die Weltgeschichte sucht aus spröden Stoffen

Ein reines Bild der Menschheit zu gestalten,

Vor dem, die jetzt sich schrankenlos entfalten,

Die Individuen vergeh'n, die schroffen.


Die endliche Vollendung ist zu hoffen,

Denn diese Künstlerin wird nie erkalten,

Auch sehen wir, wenn sich die Nebel spalten,

Schon manchen Zug des Bildes tief getroffen.


Doch wir, wie Kinder in der Werkstatt harrend,

Wir haschen nach den abgesprung'nen Stücken,

Die, wie sie schweigend meißelt, nieder fallen;


Dann rufen wir, in Andacht dumpf erstarrend,

Mit krummen Nacken und gebeugten Rücken:

Hier sind die Götter! Laßt den Weihrauch wallen![320]


Quelle:
Friedrich Hebbel: Sämtliche Werke. 1. Abteilung: Werke, Berlin [1911 ff], S. 320-321.
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