An die Jünglinge

[236] Trinkt des Weines dunkle Kraft,

Die euch durch die Seele fließt

Und zu heil'ger Rechenschaft

Sie im Innersten erschließt!

Blickt hinab nun in den Grund,

Dem das Leben still entsteigt,

Forscht mit Ernst, ob es gesund

Jedem Höchsten sich verzweigt.


Geht an einen schaur'gen Ort,

Denkt an aller Ehren Strauß,[236]

Sprecht dann laut das Schöpfungswort,

Sprecht das Wort: es werde! aus.

Ja, es werde! spricht auch Gott,

Und sein Segen senkt sich still,

Denn, den macht er nicht zum Spott,

Der sich selbst vollenden will.


Betet dann, doch betet nur

Zu euch selbst, und ihr beschwört

Aus der eigenen Natur

Einen Geist, der euch erhört.

Leben heißt, tief einsam sein;

In die spröde Knospe drängt

Sich kein Tropfe Thaus hinein,

Eh' sie inn're Glut zersprengt.


Gott dem Herrn ist's ein Triumph,

Wenn ihr nicht vor ihm vergeht,

Wenn ihr, statt im Staube dumpf

Hinzuknieen, herrlich steht,

Wenn ihr stolz, dem Baume gleich,

Euch nicht unter Blüten bückt,

Wenn die Last des Segens euch

Erst hinab zur Erde drückt.


Fort den Wein! Wer noch nicht flammt,

Ist nicht seines Kusses werth,

Und wer selbst vom Feuer stammt,

Steht schon lange glutverklärt.

Euch geziemt nur Eine Lust,

Nur ein Gang durch Sturm und Nacht,

Der aus eurer dunklen Brust

Einen Sternenhimmel macht.[237]


Quelle:
Friedrich Hebbel: Sämtliche Werke. 1. Abteilung: Werke, Berlin [1911 ff], S. 236-238.
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