Das Opfer des Frühlings

[217] Sah ich je ein Blau, wie droben

Klar und voll den Himmel schmückt?

Nicht in Augen, sanft gehoben,

Nicht in Veilchen, still gebückt![217]

Leiser scheint der Fluß zu wallen

Unter seinem Widerschein,

Vögel schweigen, und vor Allen

Dämmert meine Seele ein.


Doch, es gilt auch eine Feier!

Schaut den Lenz im Morgenglanz!

Hinter grauer Nebel Schleier

Flocht der Jüngling sich den Kranz.

Wenn sein Hauch, die Nebel theilend,

Ihn zu früh' schon halb verrieth,

Wich er scheu zurück, enteilend

In ein dunkleres Gebiet.


Dennoch steh'n, ihn zu empfangen,

Seine Kinder schon bereit:

Rose mit den heißen Wangen,

Mandelbaum im weißen Kleid!

Veilchen, die des Sommers Brüten

Bald erstickt, sie harren auch,

Keusche Lorbeern selbst erglühten;

Denn sie Alle traf sein Hauch.


Nun, mit fast verschämtem Lächeln,

Zieht er ein in's schöne Reich;

Ihm die glüh'nde Stirn zu fächeln,

Nah'n die Morgenwinde gleich.

Doch, ihn selber kühlend, stehlen

Sie so viel der holden Glut,

Als, die Blumen, die noch fehlen,

Zu erwecken, nöthig thut.


Flugs nun auf den leichten Schwingen

Eilen sie durch Hain und Thal,[218]

Und vor ihren Küssen springen

Spröde Knospen ohne Zahl.

Jeder Busch, wie sie ihn streifen,

Wird zum bunten Blütenstrauß,

Und die Wurzeln, die noch steifen,

Treiben erstes Grün heraus.


Doch nun lös't sich, alle Farben

Zu erhöh'n und allen Duft,

Das verschluckte Licht in Garben

Reinen Goldes aus der Luft.

Sind das Stralen? Sind das Sterne,

Die der Tag in Flammen schmolz?

Alles funkelt, nah' und ferne,

Berg und Wald, ja Stein und Holz!


Horcht! Vor diesem Glanze fahren

Auch die Vögel aus dem Traum,

D'rin sie still versunken waren,

Wieder auf im blauen Raum;

Aber dick und rauchend steigen

Wolken heißen Dufts empor,

Und nun fällt in's dumpfe Schweigen

Neu betäubt zurück ihr Chor.


Fürder, immer fürder schreitend,

Kommt der Jüngling an den Fluß,

Der, sich rings in's Land verbreitend,

Alles tränkt, was trinken muß.

Aber heute möge dürsten,

Was da will, er hält sich an

Und versucht, ob er den Fürsten

Durch sein Bild nicht fesseln kann.[219]


Denn, wenn dieser, süß betroffen,

Hier sich selbst im Spiegel schaut,

Krönt sein Blick das leise Hoffen,

Dem die Welle still vertraut;

Sei er noch so schnell und flüchtig,

Jene Lilje wird geweckt,

Die, wie keine, keusch und züchtig,

Sich in ihren Schooß versteckt.


Und wie sollte er nicht säumen?

Sieht er denn sich selber nur?

Nicht zugleich, die seinen Träumen

Leben gab, die blüh'nde Flur?

Wenn's ihn auch vorüber triebe

An der eig'nen Huldgestalt,

Fesselte ihn doch die Liebe

An die Braut mit Allgewalt.


Ach, er zögert wonnetrunken!

Aber lange bleibt er nicht

In den süßen Rausch versunken,

Nein, er wendet das Gesicht!

Denn ihm sagt ein inn'res Stocken,

Daß die Götter neidisch sind,

Und ihm däucht, mit seinen Locken

Spiele schon ein and'rer Wind.


Da beschleicht ihn dumpfe Trauer,

Ihm erlischt der Wange Roth,

Und ihn mahnt ein kalter Schauer

An den Tod, den frühen Tod;

Doch, von dem durchzuckt, entzittert,

Wie von selbst, sein Kranz dem Haar,

Der die Ew'gen ihm erbittert,

Und sein Fuß zertritt ihn gar.[220]


Plötzlich Stille jetzt! Die Winde

Ruh'n, wie auf ein Zauberwort,

Doch in jedem Frühlingskinde

Bebt der Todesschauer fort,

Und ein hast'ger Blüten-Regen

Macht das duft'ge Opfer voll,

Das verhalt'nen Fluch in Segen,

Haß in Liebe wandeln soll.


Aber nun den stolzen Wipfel

Jeder Baum zur Erde neigt,

Nun auf hohem Berges-Gipfel

Selbst der Kühnste Demuth zeigt,

Nun erhebt der Jüngling wieder

Sanft das Haupt, das er gesenkt,

Und ein Oelblatt säuselt nieder,

Das versöhnt der Neid ihm schenkt.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Sämtliche Werke. 1. Abteilung: Werke, Berlin [1911 ff], S. 217-221.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte (Ausgabe letzter Hand)
Gedichte
Werke, 5 Bde., Bd.3, Gedichte, Erzählungen, Schriften
Die schönsten Liebesgedichte (insel taschenbuch)
Gedichte
Gedichte

Buchempfehlung

Angelus Silesius

Cherubinischer Wandersmann

Cherubinischer Wandersmann

Nach dem Vorbild von Abraham von Franckenberg und Daniel Czepko schreibt Angelus Silesius seine berühmten Epigramme, die er unter dem Titel »Cherubinischer Wandersmann« zusammenfasst und 1657 veröffentlicht. Das Unsagbare, den mystischen Weg zu Gott, in Worte zu fassen, ist das Anliegen seiner antithetisch pointierten Alexandriner Dichtung. »Ich bin so groß als Gott, er ist als ich so klein. Er kann nicht über mich, ich unter ihm nicht sein.«

242 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon