6.

[291] Natur, du kannst mich nicht vernichten,

Weil es dich selbst vernichten heißt,

Du kannst auf kein Atom verzichten,

Das einmal mit im Weltall kreis't;


Du mußt sie alle wieder wecken,

Die Wesen, die sich, groß und klein,

In deinem dunklen Schooß verstecken

Und träumen, nun nicht mehr zu sein;


Natur, ich will dich nicht beschwören:

Veränd're deinen ew'gen Lauf!

Ich weiß, du kannst mich nicht erhören,

Nur wecke mich am letzten auf!


Ich will nicht in die Luft zerfließen,

Ich will, auf langen Schlaf entbrannt,

Gestorben, mich im Stein verschließen,

Im härtesten, im Diamant.[291]


Ob der in einer Krone gaukle,

Ob er bei heller Kerzen Licht

Auf einer Mädchenbrust sich schaukle,

Ich schlafe tief, ich fühl' es nicht.


Er wird bei tausend Festestänzen,

Als Mittelpunct im Stralenkranz

Vielleicht, wie nie ein And'rer, glänzen,

Doch Keiner ahnt, woher der Glanz.


Erst, wenn ich mich erwachend dehne,

Sag' ich dem Träger still in's Ohr,

Daß einst ein Mensch zerrann zur Thräne

Und die zum Edelstein gefror!


Quelle:
Friedrich Hebbel: Sämtliche Werke. 1. Abteilung: Werke, Berlin [1911 ff], S. 291-292.
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