Horace Vernet

[305] Der hat auch nicht mit lauter echten Steinen den diesjährigen Salon geschmückt. Das vorzüglichste seiner ausgestellten Gemälde war eine Judith, die im Begriff steht, den Holofernes zu töten. Sie hat sich eben vom Lager desselben erhoben, ein blühend schlankes Mädchen. Ein violettes Gewand, um die Hüften hastig geschürzt, geht bis zu ihren Füßen hinab; oberhalb des Leibes trägt sie ein blaßgelbes Unterkleid, dessen Ärmel von der rechten Schulter herunterfällt und den sie mit der linken Hand, etwas metzgerhaft und doch zugleich bezaubernd zierlich, wieder in die Höhe streift; denn mit der rechten Hand hat sie eben das krumme Schwert gezogen gegen den schlafenden Holofernes. Da steht sie, eine reizende Gestalt, an der eben überschrittenen Grenze der Jungfräulichkeit, ganz gottrein und doch weltbefleckt, wie eine entweihte Hostie. Ihr Kopf ist wunderbar anmutig und unheimlich liebenswürdig; schwarze Locken, wie kurze Schlangen, die nicht herabflattern, sondern sich bäumen, furchtbar graziös. Das Gesicht ist etwas beschattet, und süße Wildheit, düstere Holdseligkeit und sentimentaler Grimm rieselt durch die edlen Züge der tödlichen Schönen. Besonders in ihrem Auge funkelt süße Grausamkeit und die Lüsternheit der Rache; denn sie hat auch den eignen beleidigten Leib zu rächen an dem häßlichen Heiden. In der Tat, dieser ist nicht sonderlich liebreizend, aber im Grunde scheint er doch ein bon enfant zu sein. Er schläft so gutmütig in der Nachwonne seiner Beseligung; er schnarcht vielleicht, oder, wie Luise sagt, er schläft laut; seine Lippen bewegen sich noch, als wenn sie küßten; er lag noch eben im Schoße des Glücks, oder vielleicht lag auch das Glück in seinem Schoße; und trunken von Glück und gewiß auch von Wein, ohne Zwischenspiel von Qual und Krankheit, sendet ihn der Tod durch seinen schönsten Engel in die weiße Nacht der ewigen Vernichtung. Welch ein beneidenswertes Ende![305] Wenn ich einst sterben soll, ihr Götter, laßt mich sterben wie Holofernes!

Ist es Ironie von Horace Vernet, daß die Strahlen der Frühsonne auf den Schlafenden gleichsam verklärend hereinbrechen und daß eben die Nachtlampe erlischt?

Minder durch Geist als vielmehr durch kühne Zeichnung und Farbengebung empfiehl sich ein anderes Gemälde von Vernet, welches den jetzigen Papst vorstellt. Mit der goldenen dreifachen Krone auf dem Haupte, gekleidet mit einem goldgestickten weißen Gewande, auf einem goldenen Stuhle sitzend, wird der Knecht der Knechte Gottes in der Peterskirche herumgetragen. Der Papst selbst, obgleich rotwangig, sieht schwächlich aus, fast verbleichend in dem weißen Hintergrund von Weihrauchdampf und weißen Federwedeln, die über ihn hingehalten werden. Aber die Träger des päpstlichen Stuhles sind stämmige, charaktervolle Gestalten, in karmosinroten Livreen, die schwarzen Haare herabfallend über die gebräunten Gesichter. Es kommen nur drei davon zum Vorschein, aber sie sind vortrefflich gemalt. Dasselbe läßt sich rühmen von den Kapuzinern, deren Häupter nur, oder vielmehr deren gebeugte Hinterhäupter mit den breiten Tonsuren, im Vordergrunde sichtbar werden. Aber eben die verschwimmende Unbedeutenheit der Hauptperson und das bedeutende Hervortreten der Nebenpersonen ist ein Fehler des Bildes. Letztere haben mich durch die Leichtigkeit, womit sie hingeworfen sind, und durch ihr Kolorit an den Paul Veronese erinnert. Nur der venezianische Zauber fehlt, jene Farbenpoesie, die, gleich dem Schimmer der Lagunen, nur oberflächlich ist, aber dennoch die Seele so wunderbar bewegt.

In Hinsicht der kühnen Darstellung und der Farbengebung hat sich ein drittes Bild von Horace Vernet vielen Beifall erworben. Es ist die Arretierung der Prinzen Condé, Conti und Longueville. Der Schauplatz ist eine Treppe des Palais Royal, und die arretierten Prinzen steigen herab, nachdem sie eben auf Befehl Annens von Österreich ihre Degen abgegeben. Durch dieses Herabsteigen behält fast jede Figur ihren ganzen[306] Umriß. Condé ist der erste, auf der untersten Stufe; er hält sinnend seinen Knebelbart in der Hand, und ich weiß, was er denkt. Von der obersten Stufe der Treppe kommt ein Offizier herab, der die Degen der Prinzen unterm Arme trägt. Es sind drei Gruppen, die natürlich entstanden und natürlich zusammengehören. Nur wer eine sehr hohe Stufe in der Kunst erstiegen, hat solche Treppenideen.

Zu den weniger bedeutenden Bildern von Horace Vernet gehört ein Camille Desmoulins, der im Garten des Palais Royal auf eine Bank steigt und das Volk haranguiert. Mit der linken Hand reift er ein grünes Blatt von einem Baume, in der rechten hält er eine Pistole. Armer Camille! dein Mut war nicht höher als diese Bank, und da wolltest du stehenbleiben, und du schautest dich um. »Vorwärts, immer vorwärts!« ist aber das Zauberwort, das die Revolutionäre aufrechterhalten kann; – bleiben sie stehen und schauen sie sich um, dann sind sie verloren, wie Eurydike, als sie, dem Saitenspiel des Gemahls folgend, nur einmal zurückschaute in die Greuel der Unterwelt. Armer Camille! armer Bursche! das waren die lustigen Flegeljahre der Freiheit, als du auf die Bank sprangest und dem Despotismus die Fenster einwarfest und Laternenwitze rissest; der Spaß wurde nachher sehr trübe, die Füchse der Revolution wurden bemooste Häupter, denen die Haare zu Berge stiegen, und du hörtest schreckliche Töne neben dir erklingen, und hinter dir, aus dem Schattenreich, riefen dich die Geisterstimmen der Gironde, und du schautest dich um.

In Hinsicht der Kostüme von 1789 war dieses Bild ziemlich interessant. Da sah man sie noch, die gepuderten Frisuren, die engen Frauenkleider, die erst bei den Hüften sich bauschten, die buntgestreiften Fräcke, die kutscherlichen Oberröcke mit kleinen Kräglein, die zwei Uhrketten, die parallel über dem Bauche hängen, und gar jene terroristischen Westen mit breitaufgeschlagenen Klappen, die bei der republikanischen Jugend in Paris jetzt wieder in Mode gekommen sind und gilets à la Robespierre genannt werden. Robespierre selbst ist ebenfalls auf dem Bilde zu sehen, auffallend durch seine sorgfältige[307] Toilette und sein geschmiegeltes Wesen. In der Tat, sein Äußeres war immer schmuck und blank, wie das Beil einer Guillotine; aber auch sein Inneres, sein Herz, war uneigennützig, unbestechbar und konsequent wie das Beil einer Guillotine. Diese unerbittliche Strenge war jedoch nicht Gefühllosigkeit, sondern Tugend, gleich der Tugend des Junius Brutus, die unser Herz verdammt und die unsere Vernunft mit Entsetzen bewundert. Robespierre hatte sogar eine besondere Vorliebe für Desmoulins, seinen Schulkameraden, den er hinrichten ließ, als dieser Fanfaron de la liberté eine unzeitige Mäßigung predigte und staatsgefährliche Schwächen beförderte. Während Camilles Blut auf der Grève floß, flossen vielleicht in einsamer Kammer die Tränen des Maximilian. Dies soll keine banale Redensart sein. Unlängst sagte mir ein Freund, daß ihm Bourdon de l'Oise erzählt habe: er sei einst in das Arbeitszimmer des Comité du salut public gekommen, als dort Robespierre ganz allein, in sich selbst versunken, über seinen Akten saß und bitterlich weinte.

Ich übergehe die übrigen noch minder bedeutenden Gemälde von Horace Vernet, dem vielseitigsten Maler, der alles malt, Heiligenbilder, Schlachten, Stilleben, Bestien, Landschaften, Porträte, alles flüchtig, fast pamphletartig.

Ich wende mich zu

Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 4, Berlin und Weimar 21972, S. 305-308.
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