Cleopatra

[493] (Antonius und Cleopatra)


Cleopatra

Ja, dieses ist die berühmte Königin von Ägypten, welche den Antonius zugrunde gerichtet hat.

Er wußte es ganz bestimmt, daß er durch dieses Weib seinem Verderben entgegenging, er will sich ihren Zauberfesseln entreißen...


Schnell muß ich fort von hier.


Er flieht... doch nur, um desto eher zurückzukehren zu den Fleischtöpfen Ägyptens, zu seiner alten Nilschlange, wie er sie nennt... bald wühlt er sich wieder mit ihr im prächtigen Schlamme zu Alexandrien, und dort, erzählt Octavius:
[493]

Dort auf dem Markt auf silberner Tribüne,

Auf goldnen Stühlen, thront' er öffentlich

Mit der Cleopatra. Cäsarion saß

Zu ihren Füßen, den man für den Sohn

Von meinem Vater hält; und alle die

Unechten Kinder, die seit jener Zeit

Erzeugte ihre Wollust. Ihr verlieh

Ägypten er zum Eigentum und machte

Von Niedersyrien, Cyprus, Lydien sie

Zur unumschränkten Königin.


...


An dem Ort,

Wo man die öffentlichen Spiele gibt,

Da kündet' er als Könige der Kön'ge

Die Söhne; gab Großmedien, Parthien,

Armenien dem Alexander, wies

Dem Ptolemäus Syrien, Cilicien

Und auch Phönizien an. Sie selbst erschien

Im Schmuck der Göttin Isis diesen Tag,

Und wie man sagt, erteilte sie vorher

Auf diese Weise oftmals schon Gehör.


Die ägyptische Zauberin hält nicht bloß sein Herz, sondern auch sein Hirn gefangen und verwirrt sogar sein Feldherrntalent. Statt auf dem festen Lande, wo er geübt im Siegen, liefert er die Schlacht auf der unsichern See, wo seine Tapferkeit sich weniger geltend machen kann; – und dort, wohin das launenhafte Weib ihm durchaus folgen wollte, ergreift sie plötzlich die Flucht nebst allen ihren Schiffen, eben im entscheidenden Momente des Kampfes; – und Antonius, »gleich einem brünst'gen Entrich«, mit ausgespannten Segelflügeln, flieht ihr nach und läßt Ehre und Glück im Stich. Aber nicht bloß durch die weiblichen Launen Cleopatras erleidet der unglückselige Held die schmählichste Niederlage; späterhin übt sie gegen ihn sogar den schwärzesten Verrat und läßt, im geheimen[494] Einverständnis mit Octavius, ihre Flotte zum Feinde übergehen... Sie betrügt ihn aufs niederträchtigste, um im Schiffbruche seines Glücks ihre eigenen Güter zu retten oder gar noch einige größere Vorteile zu erfischen... Sie treibt ihn in Verzweiflung und Tod durch Arglist und Lüge... Und dennoch bis zum letzten Augenblicke liebt er sie mit ganzem Herzen; ja, nach jedem Verrat, den sie an ihm übte, entlodert seine Liebe um so flammender. Er flucht freilich über ihre jedesmalige Tücke, er kennt alle ihre Gebrechen, und in den rohesten Schimpfreden entladet sich seine bessere Einsicht, und er sagt ihr die bittersten Wahrheiten:


Eh' ich dich kannte, warst du halb verwelkt!

Ha! ließ ich deshalb ungedrückt in Rom

Mein Kissen; gab darum die Zeugung auf

Rechtmäß'ger Kinder und von einem Kleinod

Der Frauen, um von der getäuscht zu sein,

Die gern sieht, daß sie andre unterhalten?


...


Du warst von jeher eine Heuchlerin.

Doch werden wir in Missetaten hart,

Dann – o des Unglücks! – schließen weise Götter

Die Augen uns; in unsern eigenen Kot

Versenken sie das klare Urteil; machen,

Daß wir anbeten unsern Wahn, und lachen,

Wenn wir hinstolpern ins Verderben.


...


Als kalten Bissen auf

Des toten Cäsars Schüssel fand ich dich;

Du warst ein Überbleibsel schon des Cnejus

Pompejus; andrer heißer Stunden nicht

Zu denken, die, vom allgemeinen Ruf

Nicht aufgezeichnet, du wollüstig dir

Erhaschtest.[495]


Aber wie jener Speer des Achilles, welcher die Wunden, die er schlug, wieder heilen konnte, so kann der Mund des Liebenden mit seinen Küssen auch die tödlichsten Stiche wieder heilen, womit sein scharfes Wort das Gemüt des Geliebten verletzt hat... Und nach jeder Schändlichkeit, welche die alte Nilschlange gegen den römischen Wolf ausübte, und nach jeder Schimpfrede, die dieser darüber losheulte, züngeln sie beide miteinander um so zärtlicher; noch im Sterben drückt er auf ihre Lippen von so vielen Küssen noch den letzten Kuß...

Aber auch sie, die ägyptische Schlange, wie liebt sie ihren römischen Wolf! Ihre Verrätereien sind nur äußerliche Windungen der bösen Wurmnatur, sie übt dergleichen mehr mechanisch aus angeborner oder angewöhnter Unart... aber in der Tiefe ihrer Seele wohnt die unwandelbarste Liebe für Antonius, sie weiß es selbst nicht, daß diese Liebe so stark ist, sie glaubt manchmal diese Liebe überwinden oder gar mit ihr spielen zu können, und sie irrt sich, und dieser Irrtum wird ihr erst recht klar in dem Augenblick, wo sie den geliebten Mann auf immer verliert und ihr Schmerz in die erhabenen Worte ausbricht:


Ich träumt: es gab einst einen Feldherrn Marc

Anton! – O einen zweiten, gleichen Schlaf,

Um noch einmal solch einen Mann zu sehn!


...


Sein Gesicht

War wie des Himmels Antlitz. Drinnen stand

Die Sonn' und auch ein Mond und liefen um,

Und leuchteten der Erde kleinem O.


...


Seine Füße

Beschritten Ozeane; sein empor-

Gestreckter Arm umsauste eine Welt;

Der Harmonie der Sphären glich die Stimme,

Wenn sie den Freunden tönte; wenn er meint'[496]

Den Erdkreis zu bezähmen, zu erschüttern,

Wie Donner rasselnd. Seine Güte kannte

Den Winter nie; sie war ein Herbst, der stets

Durch Ernten reicher ward. Delphinen gleich

War sein Ergötzen, die den Rücken ob

Dem Elemente zeigen, das sie hegt.

Es wandelten in seiner Liverei

Der Königs- und der Fürstenkronen viel.

Und Königreich' und Inseln fielen ihm

Wie Münzen aus der Tasche.


Diese Cleopatra ist ein Weib. Sie liebt und verrät zu gleicher Zeit. Es ist ein Irrtum, zu glauben, daß die Weiber, wenn sie uns verraten, auch aufgehört haben, uns zu lieben. Sie folgen nur ihrer angebornen Natur; und wenn sie auch nicht den verbotenen Kelch leeren wollen, so möchten sie doch manchmal ein bißchen nippen, an dem Rande lecken, um wenigstens zu kosten, wie Gift schmeckt. Nächst Shakespeare, in vorliegender Tragödie, hat dieses Phänomen niemand so gut geschildert wie unser alter Abbé Prévost in seinem Romane »Manon de Lescaut«. Die Intuition des größten Dichters stimmt hier überein mit der nüchternen Beobachtung des kühlsten Prosaikers.

Ja, diese Cleopatra ist ein Weib, in der holdseligsten und vermaledeitesten Bedeutung des Wortes! Sie erinnert mich an jenen Ausspruch Lessings: »Als Gott das Weib schuf, nahm er den Ton zu fein.« Die Überzartheit seines Stoffes verträgt sich nun selten mit den Ansprüchen des Lebens. Dieses Geschöpf ist zu gut und zu schlecht für diese Welt. Die lieblichsten Vorzüge werden hier die Ursache der verdrießlichsten Gebrechen. Mit entzückender Wahrheit schildert Shakespeare schon gleich beim Auftreten der Cleopatra den bunten, flatterhaften Launengeist, der im Kopfe der schönen Königin beständig rumort, nicht selten in den bedenklichsten Fragen und Gelüsten, übersprudelt und vielleicht eben als der letzte Grund von all ihrem Tun und Lassen zu betrachten ist. Nichts ist charakteristischer[497] als die fünfte Szene des ersten Akts, wo sie von ihrer Kammerjungfer verlangt, daß sie ihr Mandragora zu trinken gebe, damit dieser Schlaftrunk ihr die Zeit ausfülle, während Antonius entfernt. Dann plagt sie der Teufel, ihren Kastraten Mardian zu rufen. Er fragt untertänig, was seine Gebieterin begehre. »Singen will ich dich nicht hören«, antwortet sie, »denn nichts gefällt mir jetzt, was Eunuchen eigen ist – aber sage mir: Fühlst du denn Leidenschaft?«


MARDIAN.

Ja, holde Königin!


CLEOPATRA.

In Wahrheit?


MARDIAN.

Nicht in Wahrheit;

Denn nichts vermag ich, als was in der Wahrheit

Mit Anstand kann geschehn, und doch empfind

Ich heft'ge Triebe, denk auch oft an das,

Was Mars mit Venus tat.


CLEOPATRA.

O Charmian!

Wo, glaubst du, ist er jetzt? Steht oder sitzt er?

Geht er umher? Besteigt er jetzt sein Roß?

Beglücktes Roß, das seine Last erträgt!

Sei tapfer, Roß! Denn weißt du, wen du trägst?

Der Erde halben Atlas! Ihn, den Arm,

Den Helm der Menschen! Sprechen wird er oder

Wird murmeln jetzt: »Wo ist nun meine Schlange

Des alten Nils?« – Denn also nennt er mich.


Soll ich, ohne Furcht vor diffamatorischem Mißlächeln, meinen ganzen Gedanken aussprechen, so muß ich ehrlich bekennen: dieses ordnungslose Fühlen und Denken der Cleopatra, welches eine Folge des ordnungslosen, müßigen und beunruhigten[498] Lebenswandels, erinnert mich an eine gewisse Klasse verschwenderischer Frauen, deren kostspieliger Haushalt von einer außereh'lichen Freigebigkeit bestritten wird und die ihre Titulargatten sehr oft mit Liebe und Treue, nicht selten auch mit bloßer Liebe, aber immer mit tollen Launen plagen und beglücken. Und war sie denn im Grunde etwas anders, diese Cleopatra, die wahrlich mit ägyptischen Kroneinkünften nimmermehr ihren unerhörten Luxus bezahlen konnte und von dem Antonius, ihrem römischen Entreteneur, die erpreßten Schätze ganzer Provinzen als Geschenke empfing und im eigentlichen Sinne des Wortes eine unterhaltene Königin war!

In dem aufgeregten, unsteten, aus lauter Extremen zusammengewürfelten, drückend schwülen Geiste der Cleopatra wetterleuchtet ein sinnlich wilder, schwefelgelber Witz, der uns mehr erschreckt als ergötzt. Plutarch gibt uns einen Begriff von diesem Witze, der sich mehr in Handlungen als in Worten ausspricht, und schon in der Schule lachte ich mit ganzer Seele über den mystifizierten Antonius, der mit seiner königlichen Geliebten auf den Fischfang ausfuhr, aber an seiner Schnur lauter eingesalzene Fische heraufzog; denn die schlaue Ägypterin hatte heimlich eine Menge Taucher bestellt, welche unter dem Wasser an dem Angelhaken des verliebten Römers jedesmal einen eingesalzenen Fisch zu befestigen wußten. Freilich, unser Lehrer machte bei dieser Anekdote ein sehr ernsthaftes Gesicht und tadelte nicht wenig den frevelhaften Übermut, womit die Königin das Leben ihrer Untertanen, jener armen Taucher, aufs Spiel setzte, um den besagten Spaß auszuführen; unser Lehrer war überhaupt kein Freund der Cleopatra, und er machte uns sehr nachdrücklich darauf aufmerksam, wie sich der Antonius durch dieses Weib seine ganze Staatskarriere verdarb, in häusliche Unannehmlichkeiten verwickelte und endlich ins Unglück stürzte.

Ja, mein alter Lehrer hatte recht, es ist äußerst gefährlich, sich mit einer Person, wie die Cleopatra, in ein näheres Verhältnis einzulassen. Ein Held kann dadurch zugrunde gehen,[499] aber auch nur ein Held. Der lieben Mittelmäßigkeit droht hier, wie überall, keine Gefahr.

Wie der Charakter der Cleopatra, so ist auch ihre Stellung eine äußerst witzige. Dieses launische, lustsüchtige, wetterwendische, fieberhaft kokette Weib, diese antike Pariserin, diese Göttin des Lebens gaukelt und herrscht über Ägypten, dem schweigsam starren Totenland... Ihr kennt es wohl, jenes Ägypten, jenes geheimnisvolle Mizraim, jenes enge Niltal, das wie ein Sarg aussieht... Im hohen Schilfe greint das Krokodil oder das ausgesetzte Kind der Offenbarung... Felsentempel mit kolossalen Pfeilern, woran heilige Tierfratzen lehnen, häßlich bunt bemalt... An der Pforte nickt der hieroglyphenmützige Isismönch... In üppigen Villas halten die Mumien ihre Siesta, und die vergoldete Larve schützt sie vor den Fliegenschwärmen der Verwesung... Wie stumme Gedanken stehen dort die schlanken Obelisken und die plumpen Pyramiden... Im Hintergrund grüßen die Mondberge Äthiopiens, welche die Quellen des Nils verhüllen... Überall Tod, Stein und Geheimnis... Und über dieses Land herrschte als Königin die schöne Cleopatra.

Wie witzig ist Gott!

Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 5, Berlin und Weimar 21972, S. 493-500.
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