Desdemona

[539] (Othello)


Desdemona

Ich habe oben beiläufig angedeutet, daß der Charakter des Romeo etwas Hamletisches enthalte. In der Tat, ein nordischer Ernst wirft seine Streifschatten über dieses glühende Gemüt. Vergleicht man Julie mit Desdemona, so wird ebenfalls in jener ein nordisches Element bemerkbar; bei aller Gewalt ihrer[539] Leidenschaft bleibt sie doch immer ihrer selbst bewußt und im klarsten Selbstbewußtsein Herrin ihrer Tat. Julie liebt und denkt und handelt. Desdemona liebt und fühlt und gehorcht, nicht dem eignen Willen, sondern dem stärkern Antrieb. Ihre Vortrefflichkeit besteht darin, daß das Schlechte auf ihre edle Natur keine solche Zwangsmacht ausüben kann wie das Gute. Sie wäre gewiß immer im Palazzo ihres Vaters geblieben, ein schüchternes Kind, den häuslichen Geschäften obliegend; aber die Stimme des Mohren drang in ihr Ohr, und obgleich sie die Augen niederschlug, sah sie doch sein Antlitz in seinen Worten, in seinen Erzählungen oder, wie sie sagt: »in seiner Seele«... und dieses leidende, großmütige, schöne, weiße Seelenantlitz übte auf ihr Herz den unwiderstehlich hinreißenden Zauber. Ja, er hat recht, ihr Vater, Seine Wohlweisheit der Herr Senator Brabantio: eine mächtige Magie war schuld daran, daß sich das bange, zarte Kind zu dem Mohren hingezogen fühlte und jene häßlich schwarze Larve nicht fürchtete, welche der große Haufe für das wirkliche Gesicht Othellos hielt...

Julias Liebe ist tätig, Desdemonas Liebe ist leidend. Sie ist die Sonnenblume, die selber nicht weiß, daß sie immer dem hohen Tagesgestirn ihr Haupt zuwendet. Sie ist die wahre Tochter des Südens, zart, empfindsam, geduldig, wie jene schlanken, großäugigen Frauenlichter, die aus sanskritischen Dichtungen so lieblich, so sanft, so träumerisch hervorstrahlen. Sie mahnt mich immer an die »Sakontala« des Kalidasa, des indischen Shakespeares.

Der englische Kupferstecher, dem wir das vorstehende Bildnis der Desdemona verdanken, hat ihren großen Augen vielleicht einen zu starken Ausdruck von Leidenschaft verliehen. Aber ich glaube bereits angedeutet zu haben, daß der Kontrast des Gesichtes und des Charakters immer einen interessanten Reiz ausübt. Jedenfalls aber ist dieses Gesicht sehr schön, und namentlich dem Schreiber dieser Blätter muß es sehr gefallen, da es ihn an jene hohe Schöne erinnert, die gottlob an seinem eignen Antlitz nie sonderlich gemäkelt hat und dasselbe bis jetzt nur in seiner Seele sah...
[540]

Ihr Vater liebte mich, lud oft mich ein.

Er fragte die Geschichte meines Lebens

Von Jahr zu Jahr; Belagerungen, Schlachten

Und jedes Schicksal, das ich überstand.

Ich lief sie durch, von meinem Knabenalter

Bis zu dem Augenblick, wo er gebot,

Sie zu erzählen. Sprechen mußt ich da

Von höchst unglücklichen Ereignissen,

Von rührendem Geschick zu See und Land,

Wie in der Bresche ich gewissem Tod

Kaum um die Breite eines Haars entwischte;

Wie mich ein trotz'ger Feind gefangennahm,

Der Sklaverei verkaufte; wie ich mich

Daraus gelöst, und die Geschichte dessen,

Wie ich auf meinen Reisen mich benahm.

Von öden Höhlen, unfruchtbaren Wüsten,

Von rauhen Gruben, Felsen, Hügeln, die

Mit ihren Häuptern an den Himmel rühren,

Hatt ich sodann zu sprechen Anlaß, auch

Von Kannibalen, die einander fressen,

Anthropophagen, und dem Volke, dem

Die Köpfe wachsen unter ihren Schultern.

Von solchen Dingen zu vernehmen, zeigte

Bei Desdemona sich sehr große Neigung;

Doch riefen Hausgeschäfte stets sie ab,

Die sie beseitigte mit schnellster Hast;

Kam sie zurück, mit gier'gem Ohr verschlang sie,

Was ich erzählte. Dies bemerkend, nahm

Ich eine weiche Stunde wahr und fand

Gelegne Mittel, ihr aus ernster Brust

Die Bitte zu entwinden: daß ausführlich

Ich schildre ihr die ganze Pilgerschaft,

Von der sie stückweis' etwas wohl gehört,

Doch nicht zusammenhängend. Ich gewährt es,

Und oft hab ich um Tränen sie gebracht,

Wenn ich von harten, traur'gen Schlägen sprach,[541]

Die meine Jugend trafen! Auserzählt,

Lohnt eine Welt voll Seufzer meine Müh'.

Sie schwor: In Wahrheit! seltsam, mehr als seltsam!

Und kläglich sei es, kläglich wundersam!

Sie wünschte, daß sie nichts davon gehört,

Und wünschte doch, daß sie der Himmel auch

Zu solchem Mann gemacht. Sie dankte mir

Und bat, wofern ein Freund von mir sie liebe,

Ihn nur zu lehren, wie er die Geschichte

Von meinem Leben müss' erzählen.

Dann werb' er sie. Ich sprach auf diesen Wink:

Sie liebe mich, weil ich Gefahr bestand,

Und weil sie mich bedaure, lieb' ich sie.


Dieses Trauerspiel soll eine der letzten Arbeiten Shakespeares gewesen sein, wie »Titus Andronicus« für sein Erstlingswerk erklärt wird. Dort wie hier ist die Leidenschaft einer schönen Frau zu einem häßlichen Mohren mit Vorliebe behandelt. Der reife Mann kehrte wieder zurück zu einem Problem, das einst seine Jugend beschäftigte. Hat er jetzt wirklich die Lösung gefunden? Ist diese Lösung ebenso wahr als schön? Eine düstre Trauer erfaßt mich manchmal, wenn ich dem Gedanken Raum gebe, daß vielleicht der ehrliche Jago, mit seinen bösen Glossen über die Liebe Desdemonas zu dem Mohren, nicht ganz unrecht haben mag. Am allerwiderwärtigsten aber berühren mich Othellos Bemerkungen über die feuchten Hände seiner Gattin.

Ein ebenso abenteuerliches und bedeutsames Beispiel der Liebe zu einem Mohren, wie wir in »Titus Andronicus« und »Othello« sehen, findet man in »Tausendundeine Nacht«, wo eine schöne Fürstin, die zugleich eine Zauberin ist, ihren Gemahl in einer statuenähnlichen Starrheit gefesselt hält und ihn täglich mit Ruten schlägt, weil er ihren Geliebten, einen häßlichen Neger, getötet hat. Herzzerreißend sind die Klagetöne der Fürstin am Lager der schwarzen Leiche, die sie durch ihre Zauberkunst in einer Art von Scheinleben zu erhalten[542] weiß und mit verzweiflungsvollen Küssen bedeckt und durch einen noch großem Zauber, durch die Liebe, aus dem dämmernden Halbtode zu voller Lebenswahrheit erwecken möchte. Schon als Knabe frappierte mich in den arabischen Märchen dieses Bild leidenschaftlicher und unbegreiflicher Liebe.

Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 5, Berlin und Weimar 21972, S. 539-543.
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