Johanna d'Arc

[512] (Heinrich VI. Erster Teil)


Johanna d'Arc

Heil dir, großer deutscher Schiller, der du das hohe Standbild wieder glorreich gesäubert hast von dem schmutzigen Witze Voltaires und den schwarzen Flecken, die ihm sogar Shakespeare angedichtet... Ja, war es britischer Nationalhaß oder mittelalterlicher Aberglaube, was seinen Geist umnebelte, unser Dichter hat das heldenmütige Mädchen als eine Hexe dargestellt, die mit den dunkeln Mächten der Hölle verbündet ist. Er läßt die Dämonen der Unterwelt von ihr beschwören, und gerechtfertigt wird durch solche Annahme ihre grausame Hinrichtung. – Ein tiefer Unmut erfaßt mich jedesmal, wenn ich zu Rouen über den kleinen Marktplatz wandle, wo man die Jungfrau verbrannte und eine schlechte Statue diese schlechte Tat verewigt. Qualvoll töten! das war also schon damals eure Handlungsweise gegen überwundene Feinde! Nächst dem Felsen von St. Helena gibt der erwähnte Marktplatz von Rouen das empörendste Zeugnis von der Großmut der Engländer.

Ja, auch Shakespeare hat sich an der Pucelle versündigt, und wo nicht mit entschiedener Feindschaft, behandelt er sie doch unfreundlich und lieblos, die edle Jungfrau, die ihr Vaterland befreite! Und hätte sie es auch mit der Hülfe der Hölle getan, sie verdiente dennoch Ehrfurcht und Bewunderung!

Oder haben die Kritiker recht, welche dem Stücke, worin die Pucelle auftritt, wie auch dem zweiten und dritten Teile »Heinrichs VI.«, die Autorschaft des großen Dichters absprechen? Sie behaupten, diese Trilogie gehöre zu den ältere Dramen, die er[512] nur bearbeitet habe. Ich möchte gern, der Jungfrau von Orleans wegen, einer solchen Annahme beipflichten. Aber die vorgebrachten Argumente sind nicht haltbar. Diese bestrittenen Dramen tragen in manchen Stellen allzusehr das Vollgepräge des Shakespeareschen Geistes.

Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 5, Berlin und Weimar 21972, S. 512-513.
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