Porzia

[554] (Kaufmann von Venedig)


Porzia

»Wahrscheinlich wurden alle Kunstrichter von Shylocks erstaunlichem Charakter so geblendet und gefangen, daß sie ihrerseits Porzia ihr Recht nicht widerfahren ließen, da doch ausgemacht Shylocks Charakter in seiner Art nicht kunstreicher noch vollendeter ist als Porzias in der ihrigen. Die zwei glänzenden Figuren sind beide ehrenwert: wert, zusammen in dem reichen Bann bezaubernder Dichtung und prachtvoller, anmutiger Formen zu stehen. Neben dem schrecklichen, unerbittlichen Juden, gegen seine gewaltigen Schatten durch ihre Glanzlichter abstechend, hängt sie wie ein prächtiger, schönheitatmender Tizian neben einem herrlichen Rembrandt.

Porzia hat ihr gehöriges Teil von den angenehmen Eigenschäften, die Shakespeare über viele seiner weiblichen Charaktere ausgegossen, neben der Würde aber, der Süßigkeit und Zärtlichkeit, welche ihr Geschlecht überhaupt auszeichnen, auch noch ganz eigentümliche, besondere Gaben: hohe geistige Kraft, begeisterte Stimmung, entschiedene Festigkeit und allem obschwebende Munterkeit. Diese sind angeboren; sie hat aber noch andere ausgezeichnete äußerlichere Eigenschaften, die aus ihrer Stellung und ihren Bezügen hervorgehen. So ist sie Erbin eines fürstlichen Namens und unberechenbaren Reichtums; ein Gefolg' dienstwilliger Lustbarkeiten hat sie stets umgeben; von Kindheit an hat sie eine mit Wohlgerüchen und Schmeicheldüften durchwürzte Luft geatmet. Daher eine gebieterische Anmut, eine vornehme, hehre Zierlichkeit, ein Geist der Pracht in allem, was sie tut und sagt, als die von Geburt an mit dem Glänze Vertraute. Sie wandelt einher wie in Marmorpalästen, unter goldverzierten Decken, auf Fußböden von Zeder und[554] Mosaiken von Jaspis und Porphyr, in Gärten mit Standbildern, Blumen und Quellen und geisterartig flüsternder Musik. Sie ist voll eindringender Weisheit, unverfälschter Zärtlichkeit und lebhaften Witzes. Da sie aber nie Mangel, Gram, Furcht oder Mißerfolg gekannt, so hat ihre Weisheit keinen Zug von Düsterheit oder Trübheit; all ihre Regungen sind mit Glauben, Hoffnung, Freude versetzt, und ihr Witz ist nicht im mindesten böswillig oder beißend.«

Obige Worte entlehne ich einem Werke der Frau Jameson, welches »Moralische, poetische und historische Frauencharaktere« betitelt. Es ist in diesem Buche nur von Shakespeareschen Weibern die Rede, und die angeführte Stelle zeugt von dem Geiste der Verfasserin, die wahrscheinlich von Geburt eine Schottin ist. Was sie über Porzia im Gegensatz zu Shylock sagt, ist nicht bloß schön, sondern auch wahr. Wollen wir letzteren, in üblicher Auffassung, als den Repräsentanten des starren, ernsten, kunstfeindlichen Judäas betrachten, so erscheint uns dagegen Porzia als die Repräsentantin jener Nachblüte des griechischen Geistes, welche von Italien aus, im sechzehnten Jahrhundert, ihren holden Duft über die Welt verbreitete und welche wir noch heute unter dem Namen »die Renaissance« lieben und schätzen. Porzia ist zugleich die Repräsentantin des heitern Glückes im Gegensatze zu dem düstern Mißgeschick, welches Shylock repräsentiert. Wie blühend, wie rosig, wie reinklingend ist all ihr Denken und Sprechen, wie freudewarm sind ihre Worte, wie schön alle ihre Bilder, die meistens der Mythologie entlehnt sind! Wie trübe, kneifend und häßlich sind dagegen die Gedanken und Reden des Shylock, der im Gegenteil nur alttestamentalische Gleichnisse gebraucht! Sein Witz ist krampfhaft und ätzend, seine Metaphern sucht er unter den widerwärtigsten Gegenständen, und sogar seine Worte sind zusammengequetschte Mißlaute, schrill, zischend und quirrend. Wie die Personen, so ihre Wohnungen. Wenn wir sehen, wie der Diener Jehovas, der weder ein Abbild Gottes noch des Menschen, des erschaffenen Konterfei Gottes, in seinem »ehrbaren Hause« duldet und sogar die Ohren desselben,[555] die Fenster, verstopft, damit die Töne des heidnischen Mummenschanz nicht hineindringen in sein »ehrbares Haus«... so sehen wir im Gegenteil das kostbarste und geschmackvollste Villeggiaturaleben in dem schönen Palazzo zu Belmont, wo lauter Licht und Musik, wo unter Gemälden, marmornen Statuen und hohen Lorbeerbäumen die geschmückten Freier lustwandeln und über Liebesrätsel sinnen und inmitten aller Herrlichkeit Signora Porzia, gleich einer Göttin, hervorglänzt,


Das sonnige Haar die Schläf' umwallend.


Durch solchen Kontrast werden die beiden Hauptpersonen des Dramas so individualisiert, daß man darauf schwören möchte, es seien nicht Phantasiebilder eines Dichters, sondern wirkliche, weibgeborene Menschen. Ja, sie erscheinen uns noch lebendiger als die gewöhnlichen Naturgeschöpfe, da weder Zeit noch Tod ihnen etwas anhaben kann und in ihren Adern das unsterblichste Blut, die ewige Poesie, pulsiert. Wenn du nach Venedig kommst und den Dogenpalast durchwandelst, so weißt du sehr gut, daß du weder im Saal der Senatoren noch auf der Riesentreppe dem Marino Falieri begegnen wirst; – an den alten Dandolo wirst du im Arsenale zwar erinnert, aber auf keiner der goldenen Galeeren wirst du den blinden Helden suchen; – siehst du an einer Ecke der Straße Santa eine Schlange in Stein gehauen und an der andern Ecke den geflügelten Löwen, welcher das Haupt der Schlange in der Tatze hält, so kömmt dir vielleicht der stolze Carmagnole in den Sinn, doch nur auf einen Augenblick! – Aber weit mehr als an alle solche historische Personen denkst du zu Venedig an Shakespeares Shylock, der immer noch lebt, während jene im Grabe längst vermodert sind – und wenn du über den Rialto steigst, so sucht ihn dein Auge überall, und du meinst, er müsse dort hinter irgendeinem Pfeiler zu finden sein, mit seinem jüdischen Rockelor, mit seinem mißtrauisch berechnenden Gesicht, und du glaubst manchmal sogar seine kreischende Stimme zu hören: »Dreitausend Dukaten – gut.«


Ich wenigstens, wandelnder Traumjäger, wie ich bin, ich sah[556] mich auf dem Rialto überall um, ob ich ihn irgend fände, den Shylock. Ich hätte ihm etwas mitzuteilen gehabt, was ihm Vergnügen machen konnte, daß z.B. sein Vetter, Herr von Shylock zu Paris, der mächtigste Baron der Christenheit geworden und von Ihrer Katholischen Majestät jenen Isabellenorden erhalten hat, welcher einst gestiftet ward, um die Vertreibung der Juden und Mauren aus Spanien zu verherrlichen. Aber ich bemerkte ihn nirgends auf dem Rialto, und ich entschloß mich daher, den alten Bekannten in der Synagoge zu suchen. Die Juden feierten hier eben ihren heiligen Versöhnungstag und standen eingewickelt in ihren weißen Schaufädentalaren, mit unheimlichen Kopfbewegungen, fast aussehend wie eine Versammlung von Gespenstern. Die armen Juden, sie standen dort, fastend und betend, von frühestem Morgen, hatten seit dem Vorabend weder Speise noch Trank zu sich genommen und hatten auch vorher alle ihre Bekannten um Verzeihung gebeten für etwanige Beleidigungen, die sie ihnen im Laufe des Jahres zugefügt, damit ihnen Gott ebenfalls ihre Sünden verzeihe – ein schöner Gebrauch, welcher sich sonderbarerweise bei diesen Leuten findet, denen doch die Lehre Christi ganz fremd geblieben ist!

Indem ich, nach dem alten Shylock umherspähend, all die blassen, leidenden Judengesichter aufmerksam musterte, machte ich eine Entdeckung, die ich leider nicht verschweigen kann. Ich hatte nämlich denselben Tag das Irrenhaus San Carlo besucht, und jetzt, in der Synagoge, fiel es mir auf, daß in dem Blick der Juden derselbe fatale, halb stiere, halb unstete, halb pfiffige, halb blöde Glanz flimmerte, welchen ich kurz vorher in den Augen der Wahnsinnigen zu San Carlo bemerkt hatte. Dieser unbeschreibliche, rätselhafte Blick zeugte nicht eigentlich von Geistesabwesenheit als vielmehr von der Oberherrschaft einer fixen Idee. Ist etwa der Glaube an jenen außerweltlichen Donnergott, den Moses aussprach, zur fixen Idee eines ganzen Volks geworden, das, trotzdem daß man es seit zwei Jahrtausenden in die Zwangsjacke steckte und ihm die Douche gab, dennoch nicht davon ablassen will – gleich jenem verrückten[557] Advokaten, den ich in San Carlo sah und der sich ebenfalls nicht ausreden ließ, daß die Sonne ein englischer Käse sei, daß die Strahlen derselben aus lauter roten Würmern bestünden und daß ihm ein solcher herabgeschossener Wurmstrahl das Hirn zerfresse?

Ich will hiermit keineswegs den Wert jener fixen Idee bestreiten, sondern ich will nur sagen, daß die Träger derselben zu schwach sind, um sie zu beherrschen, und davon niedergedrückt und inkurabel werden. Welches Martyrium haben sie schon um dieser Idee willen erduldet! welches größere Martyrtum steht ihnen noch bevor! Ich schaudre bei diesem Gedanken, und ein unendliches Mitleid rieselt mir durchs Herz. Während des ganzen Mittelalters bis zum heutigen Tag stand die herrschende Weltanschauung nicht in direktem Widerspruch mit jener Idee, die Moses den Juden aufgebürdet, ihnen mit heiligen Riemen angeschnallt, ihnen ins Fleisch eingeschnitten hatte; ja, von Christen und Mahometanern unterschieden sie sich nicht wesentlich, unterschieden sie sich nicht durch eine entgegengesetzte Synthese, sondern nur durch Auslegung und Schibboleth. Aber siegt einst Satan, der sündhafte Pantheismus, vor welchem uns sowohl alle Heiligen des Alten und des Neuen Testaments als auch des Korans bewahren mögen, so zieht sich über die Häupter der armen Juden ein Verfolgungsgewitter, das ihre früheren Erduldungen noch weit überbieten wird...

Trotzdem daß ich in der Synagoge von Venedig nach allen Seiten umherspähete, konnte ich das Antlitz des Shylocks nirgends erblicken. Und doch war es mir, als halte er sich dort verborgen, unter irgendeinem jener weißen Talare, inbrünstiger betend als seine übrigen Glaubensgenossen, mit stürmischer Wildheit, ja mit Raserei hinaufbetend zum Throne Jehovas, des harten Gottkönigs! Ich sah ihn nicht. Aber gegen Abend, wo, nach dem Glauben der Juden, die Pforten des Himmels geschlossen werden und kein Gebet mehr Einlaß erhält, hörte ich eine Stimme, worin Tränen rieselten, wie sie nie mit den Augen geweint werden... Es war ein Schluchzen, das[558] einen Stein in Mitleid zu rühren vermochte... Es waren Schmerzlaute, wie sie nur aus einer Brust kommen konnten, die all das Martyrtum, welches ein ganzes gequältes Volk seit achtzehn Jahrhunderten ertragen hat, in sich verschlossen hielt... Es war das Röcheln einer Seele, welche todmüde niedersinkt vor den Himmelspforten... Und diese Stimme schien mir wohlbekannt, und mir war, als hätte ich sie einst gehört, wie sie ebenso verzweiflungsvoll jammerte: »Jessica, mein Kind!«[559]

Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 5, Berlin und Weimar 21972, S. 554-560.
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