22.

[116] Die Jungfrau schläft in der Kammer,

Der Mond schaut zitternd hinein;

Da draußen singt es und klingt es,

Wie Walzermelodei'n.


»Ich will mal schaun aus dem Fenster,

Wer drunten stört meine Ruh'«

Da steht ein Totengerippe,

Und fiedelt und singt dazu:


»Hast einst mir den Tanz versprochen,

Und hast gebrochen dein Wort,

Und heut ist Ball auf dem Kirchhof,

Komm mit, wir tanzen dort.«


Die Jungfrau ergreift es gewaltig,

Es lockt sie hervor aus dem Haus;

Sie folgt dem Gerippe, das singend

Und fiedelnd schreitet voraus.


Es fiedelt und tänzelt und hüpfet,

Und klappert mit seinem Gebein,

Und nickt und nickt mit dem Schädel

Unheimlich im Mondenschein.

Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 21972, S. 116.
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