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[204] Hoch aus dem blauen Himmelszelt

Viel tausend Sterne schauen,

Sehnsüchtig glänzend, groß und klug,

Wie Augen von schönen Frauen.


Sie blicken hinunter in das Meer,

Das weithin überzogen

Mit phosphorstrahlendem Purpurduft;

Wollüstig girren die Wogen.


Kein Segel flattert am Sklavenschiff,

Es liegt wie abgetakelt;

Doch schimmern Laternen auf dem Verdeck,

Wo Tanzmusik spektakelt.


Die Fiedel streicht der Steuermann,

Der Koch, der spielt die Flöte,

Ein Schiffsjung' schlägt die Trommel dazu,

Der Doktor bläst die Trompete.


Wohl hundert Neger, Männer und Fraun,

Sie jauchzen und hopsen und kreisen

Wie toll herum; bei jedem Sprung

Taktmäßig klirren die Eisen.
[204]

Sie stampfen den Boden mit tobender Lust,

Und manche schwarze Schöne

Umschlingt wollüstig den nackten Genoß –

Dazwischen ächzende Töne.


Der Büttel ist Maître des plaisirs,

Und hat mit Peitschenhieben

Die lässigen Tänzer stimuliert,

Zum Frohsinn angetrieben.


Und Dideldumdei und Schnedderedeng!

Der Lärm lockt aus den Tiefen

Die Ungetüme der Wasserwelt,

Die dort blödsinnig schliefen.


Schlaftrunken kommen geschwommen heran

Haifische, viele hundert;

Sie glotzen nach dem Schiff hinauf,

Sie sind verdutzt, verwundert.


Sie merken, daß die Frühstückstund'

Noch nicht gekommen, und gähnen,

Aufsperrend den Rachen; die Kiefer sind

Bepflanzt mit Sägezähnen.


Und Dideldumdei und Schnedderedeng –

Es nehmen kein Ende die Tänze.

Die Haifische beißen vor Ungeduld

Sich selber in die Schwänze.


Ich glaube, sie lieben nicht die Musik,

Wie viele von ihrem Gelichter.

»Trau keiner Bestie, die nicht liebt

Musik!« sagt Albions großer Dichter.
[205]

Und Schnedderedeng und Dideldumdei –

Die Tänze nehmen kein Ende.

Am Fockmast steht Mynheer van Koek

Und faltet betend die Hände:


»Um Christi willen verschone, o Herr,

Das Leben der schwarzen Sünder!

Erzürnten sie dich, so weißt du ja,

Sie sind so dumm wie die Rinder.


Verschone ihr Leben um Christi will'n,

Der für uns alle gestorben!

Denn bleiben mir nicht dreihundert Stück,

So ist mein Geschäft verdorben.«


Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 21972, S. 204-206.
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