2

[337] Herr Ludewig von Bayerland

Sprach seufzend zu sich selber:[337]

»Der Sommer weicht, der Winter naht,

Das Laub wird immer gelber.


Der Schelling und der Cornelius,

Sie mögen von dannen wandern;

Dem einen erlosch im Kopf die Vernunft,

Die Phantasie dem andern.


Doch daß man aus meiner Krone stahl

Die beste Perle, daß man

Mir meinen Turnkunstmeister geraubt,

Das Menschenjuwel, den Maßmann –


Das hat mich gebeugt, das hat mich geknickt,

Das hat mir die Seele zerschmettert:

Mir fehlt jetzt der Mann, der in seiner Kunst

Den höchsten Pfahl erklettert.


Ich sehe die kurzen Beinchen nicht mehr,

Nicht mehr die platte Nase;

Er schlug wie ein Pudel frisch-fromm-fröhlich-frei

Die Purzelbäume im Grase.


Nur Altdeutsch verstand er, der Patriot,

Nur Jakob-Grimmisch und Zeunisch;

Fremdwörter blieben ihm immer fremd,

Griechisch zumal und Lateinisch.


Er hat, ein vaterländisch Gemüt,

Nur Eichelkaffee getrunken,

Franzosen fraß er und Limburger Käs',

Nach letzterm hat er gestunken.


O Schwager! gib mir den Maßmann zurück!

Denn unter den Gesichtern

Ist sein Gesicht, was ich selber bin,

Als Dichter unter den Dichtern.
[338]

O Schwager! behalt den Cornelius,

Auch Schelling (daß du den Rückert

Behalten kannst, versteht sich von selbst) –

Wenn nur der Maßmann zurückkehrt!


O Schwager! begnüge dich mit dem Ruhm,

Daß du mich verdunkelt heute;

Ich, der in Deutschland der Erste war,

Ich bin nur noch der Zweite...«


Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 21972, S. 337-339.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Nachlese
Hebraische Melodien: Poetische Nachlese: Tragodien
Heinrich Heine: Buch der Lieder - Nachlese zu den Gedichten 1812-1827
Heinrich Heines Buch Der Lieder, Nebst Einer Nachlese Nach Den Ersten Drucken Oder Handschriften (German Edition)