11.

Das neue israelitische Hospital

zu Hamburg

[328] Ein Hospital für arme, kranke Juden,

Für Menschenkinder, welche dreifach elend,

Behaftet mit den bösen drei Gebresten,

Mit Armut, Körperschmerz und Judentume!


Das schlimmste von den dreien ist das letzte,

Das tausendjährige Familienübel,

Die aus dem Niltal mitgeschleppte Plage,

Der altägyptisch ungesunde Glauben.


Unheilbar tiefes Leid! Dagegen helfen

Nicht Dampfbad, Dusche, nicht die Apparate

Der Chirurgie, noch all die Arzeneien,

Die dieses Haus den siechen Gästen bietet.


Wird einst die Zeit, die ew'ge Göttin, tilgen

Das dunkle Weh, das sich vererbt vom Vater

Herunter auf den Sohn – wird einst der Enkel

Genesen und vernünftig sein und glücklich?


Ich weiß es nicht! Doch mittlerweile wollen

Wir preisen jenes Herz, das klug und liebreich

Zu lindern suchte, was der Lindrung fähig,

Zeitlichen Balsam träufelnd in die Wunden.


Der teure Mann! Er baute hier ein Obdach

Für Leiden, welche heilbar durch die Künste

Des Arztes (oder auch des Todes!), sorgte

Für Polster, Labetrank, Wartung und Pflege –
[328]

Ein Mann der Tat, tat er, was eben tunlich;

Für gute Werke gab er hin den Taglohn

Am Abend seines Lebens, menschenfreundlich,

Durch Wohltun sich erholend von der Arbeit.


Er gab mit reicher Hand – doch reichre Spende

Entrollte manchmal seinem Aug', die Träne,

Die kostbar schöne Träne, die er weinte

Ob der unheilbar großen Brüderkrankheit.


Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 21972, S. 328-329.
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