3.

[144] Nach der Schlacht bei Arabella

Hat der große Alexander

Land und Leute des Darius,

Hof und Harem, Pferde, Weiber,


Elefanten und Dariken,

Kron' und Zepter, goldnen Plunder,

Eingesteckt in seine weiten

Mazedon'schen Pluderhosen.


In dem Zelt des großen Königs,

Der entflohn, um nicht höchstselbst

Gleichfalls eingesteckt zu werden,

Fand der junge Held ein Kästchen,


Eine kleine güldne Truhe,

Mit Miniaturbildwerken

Und mit inkrustierten Steinen

Und Kameen reich geschmückt –


Dieses Kästchen, selbst ein Kleinod

Unschätzbaren Wertes, diente

Zur Bewahrung von Kleinodien,

Des Monarchen Leibjuwelen.


Letztre schenkte Alexander

An die Tapfern seines Heeres,

Darob lächelnd, daß sich Männer

Kindisch freun an bunten Steinchen.


Eine kostbar schönste Gemme

Schickte er der lieben Mutter;

War der Siegelring des Cyrus,

Wurde jetzt zu einer Brosche.
[144]

Seinem alten Weltarschpauker

Aristoteles, dem sandt er

Einen Onyx für sein großes

Naturalienkabinett.


In dem Kästchen waren Perlen,

Eine wunderbare Schnur,

Die der Königin Atossa

Einst geschenkt der falsche Smerdis –


Doch die Perlen waren echt –

Und der heitre Sieger gab sie

Einer schönen Tänzerin

Aus Korinth, mit Namen Thais.


Diese trug sie in den Haaren,

Die bacchantisch aufgelöst,

In der Brandnacht, als sie tanzte

Zu Persepolis und frech


In die Königsburg geschleudert

Ihre Fackel, daß laut prasselnd

Bald die Flammenlohe aufschlug,

Wie ein Feuerwerk zum Feste.


Nach dem Tod der schönen Thais,

Die an einer babylon'schen

Krankheit starb zu Babylon,

Wurden ihre Perlen dort


Auf dem Börsensaal vergantert.

Sie erstand ein Pfaff' aus Memphis,

Der sie nach Ägypten brachte,

Wo sie später auf dem Putztisch
[145]

Der Kleopatra erschienen,

Die die schönste Perl' zerstampft

Und mit Wein vermischt verschluckte,

Um Antonius zu foppen.


Mit dem letzten Omayaden

Kam die Perlenschnur nach Spanien,

Und sie schlängelte am Turban

Des Kalifen zu Corduba.


Abderam der Dritte trug sie

Als Brustschleife beim Turnier,

Wo er dreißig goldne Ringe

Und das Herz Zuleimas stach.


Nach dem Fall der Mohrenherrschaft

Gingen zu den Christen über

Auch die Perlen, und gerieten

In den Kronschatz von Kastilien.


Die kathol'schen Majestäten

Span'scher Königinnen schmückten

Sich damit bei Hoffestspielen,

Stiergefechten, Prozessionen,


So wie auch Autodafés,

Wo sie, auf Balkonen sitzend,

Sich erquickten am Geruche

Von gebratnen alten Juden.


Späterhin gab Mendizabel,

Satansenkel, diese Perlen

In Versatz, um der Finanzen

Defizit damit zu decken.
[146]

An dem Hof der Tuilerien

Kam die Schnur zuletzt zum Vorschein,

Und sie schimmerte am Halse

Der Baronin Salomon.


So erging's den schönen Perlen.

Minder abenteuerlich

Ging's dem Kästchen, dies behielt

Alexander für sich selber.


Er verschloß darin die Lieder

Des ambrosischen Homeros,

Seines Lieblings, und zu Häupten

Seines Bettes in der Nacht


Stand das Kästchen – Schlief der König,

Stiegen draus hervor der Helden

Lichte Bilder, und sie schlichen

Gaukelnd sich in seine Träume.


Andre Zeiten, andre Vögel –

Ich, ich liebte weiland gleichfalls

Die Gesänge von den Taten

Des Peliden, des Odysseus.


Damals war so sonnengoldig

Und so purpurn mir zumute,

Meine Stirn umkränzte Weinlaub,

Und es tönten die Fanfaren –


Still davon – gebrochen liegt

Jetzt mein stolzer Siegeswagen,

Und die Panther, die ihn zogen,

Sind verreckt, so wie die Weiber,
[147]

Die mit Pauk' und Zimbelklängen

Mich umtanzten, und ich selbst

Wälze mich am Boden elend,

Krüppelelend – still davon –


Still davon – es ist die Rede

Von dem Kästchen des Darius,

Und ich dacht in meinem Sinne:

Käm ich in Besitz des Kästchens,


Und mich zwänge nicht Finanznot,

Gleich dasselbe zu versilbern,

So verschlösse ich darin

Die Gedichte unsres Rabbi –


Des Jehuda ben Halevy

Festgesänge, Klagelieder,

Die Ghaselen, Reisebilder

Seiner Wallfahrt – alles ließ' ich


Von dem besten Zophar schreiben

Auf der reinsten Pergamenthaut,

Und ich legte diese Handschrift

In das kleine goldne Kästchen.


Dieses stellt' ich auf den Tisch

Neben meinem Bett, und kämen

Dann die Freunde und erstaunten

Ob der Pracht der kleinen Truhe,


Ob den seltnen Basreliefen,

Die so winzig, doch vollendet

Sind zugleich, und ob den großen

Inkrustierten Edelsteinen –
[148]

Lächelnd würd ich ihnen sagen:

Das ist nur die rohe Schale,

Die den bessern Schatz verschließet –

Hier in diesem Kästchen liegen


Diamanten, deren Lichter

Abglanz, Widerschein des Himmels,

Herzblutglühende Rubinen,

Fleckenlose Turkoasen,


Auch Smaragde der Verheißung,

Perlen, reiner noch als jene,

Die der Königin Atossa

Einst geschenkt der falschen Smerdis,


Und die späterhin geschmücket

Alle Notabilitäten

Dieser mondumkreisten Erde,

Thais und Kleopatra,


Isispriester, Mohrenfürsten,

Auch Hispaniens Königinnen.

Und zuletzt die hochverehrte

Frau Baronin Salomon –


Diese weltberühmten Perlen,

Sie sind nur der bleiche Schleim

Eines armen Austertiers,

Das im Meergrund blöde kränkelt:


Doch die Perlen hier im Kästchen

Sind entquollen einer schönen

Menschenseele, die noch tiefer,

Abgrundtiefer als das Weltmeer –
[149]

Denn es sind die Tränenperlen

Des Jehuda ben Halevy,

Die er ob dem Untergang

Von Jerusalem geweinet –


Perlentränen, die, verbunden

Durch des Reimes goldnen Faden,

Aus der Dichtkunst güldnen Schmiede

Als ein Lied hervorgegangen.


Dieses Perlentränenlied

Ist die vielberühmte Klage,

Die gesungen wird in allen

Weltzerstreuten Zelten Jakobs


An dem neunten Tag des Monats,

Der geheißen Ab, dem Jahrstag

Von Jerusalems Zerstörung

Durch den Titus Vespasianus.


Ja, das ist das Zionslied,

Das Jehuda ben Halevy

Sterbend auf den heil'gen Trümmern

Von Jerusalem gesungen –


Barfuß und im Büßerkittel

Saß er dorten auf dem Bruchstück

Einer umgestürzten Säule; –

Bis zur Brust herunter fiel


Wie ein greiser Wald sein Haupthaar,

Abenteuerlich beschattend

Das bekümmert bleiche Antlitz

Mit den geisterhaften Augen –
[150]

Also saß er und er sang,

Wie ein Seher aus der Vorzeit

Anzuschaun – dem Grab entstiegen

Schien Jeremias, der Alte –


Das Gevögel der Ruinen

Zähmte schier der wilde Schmerzlaut

Des Gesanges, und die Geier

Nahten horchend, fast mitleidig –


Doch ein frecher Sarazene

Kam desselben Wegs geritten,

Hoch zu Roß, im Bug sich wiegend

Und die blanke Lanze schwingend –


In die Brust des armen Sängers

Stieß er diesen Todesspeer,

Und er jagte rasch von dannen,

Wie ein Schattenbild beflügelt.


Ruhig floß das Blut des Rabbi,

Ruhig seinen Sang zu Ende

Sang er, und sein sterbeletzter

Seufzer war Jerusalem! – –


Eine alte Sage meldet,

Jener Sarazene sei

Gar kein böser Mensch gewesen,

Sondern ein verkappter Engel,


Der vom Himmel ward gesendet,

Gottes Liebling zu entrücken

Dieser Erde und zu fördern

Ohne Qual ins Reich der Sel'gen.
[151]

Droben, heißt es, harrte seiner

Ein Empfang, der schmeichelhaft

Ganz besonders für den Dichter,

Eine himmlische Surprise.


Festlich kam das Chor der Engel

Ihm entgegen mit Musik,

Und als Hymne grüßten ihn

Seine eignen Verse, jenes


Synagogenhochzeitkarmen,

Jene Sabbathymenäen,

Mit den jauchzend wohlbekannten

Melodien – welche Töne!


Englein bliesen auf Hoboen,

Englein spielten Violine,

Andre strichen auch die Bratsche

Oder schlugen Pauk' und Zimbel.


Und das sang und klang so lieblich,

Und so lieblich in den weiten

Himmelsräumen widerhallt es:

»Lecho Daudi Likras Kalle.«


Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 21972, S. 144-152.
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