Kapitel XXXIII

[267] Diese Stadt ist alt ohne Altertümlichkeit, eng ohne Traulichkeit und häßlich über alle Maßen. Sie ist auf einem Felsen gebaut, am Fuße von amphitheatralischen Bergen, die den schönsten Meerbusen gleichsam umarmen. Die Genueser erhielten daher von der Natur den besten und sichersten Hafen. Da, wie gesagt, die ganze Stadt auf einem einzigen Felsen steht, so mußten, der Raumersparnis wegen, die Häuser sehr hoch und die Straßen sehr eng gebaut werden, so daß diese fast alle dunkel sind und nur auf zweien derselben ein Wagen fahren kann. Aber die Häuser dienen hier den Einwohnern, die meistens Kaufleute sind, fast nur zu Warenlagern und des Nachts zu Schlafstellen; den schachernden Tag über laufen sie umher in der Stadt oder sitzen vor ihrer Haustüre oder vielmehr in der Haustüre, denn sonst würden sich die Gegenüberwohnenden einander mit den Knien berühren.

Von der Seeseite, besonders gegen Abend, gewährt die Stadt einen bessern Anblick. Da liegt sie am Meere, wie das gebleichte Skelett eines ausgeworfenen Riesentiers, dunkle Ameisen, die sich Genueser nennen, kriechen darin herum, die blauen Meereswellen bespülen es plätschernd wie ein Ammenlied, der Mond, das blasse Auge der Nacht, schaut mit Wehmut darauf hinab.

Im Garten des Palazzo Doria steht der alte Seeheld als Neptun in einem großen Wasserbassin. Aber die Statue ist verwittert und verstümmelt, das Wasser ausgetrocknet, und die Möwen nisten in den schwarzen Zypressen. Wie ein Knabe, der immer seine Komödien im Kopf hat, dachte ich bei dem Namen Doria gleich an Friedrich Schiller, den edelsten, wenn auch nicht größten Dichter der Deutschen.[267]

Obgleich meistens im Verfall, sind die Paläste der ehemaligen Machthaber von Genua, der Nobili, dennoch sehr schön und mit Pracht überladen. Sie stehen meistens auf den zwei großen Straßen, genannt Strada nuova und Balbi. Der Palast Durazzo ist der merkwürdigste. Hier sind gute Bilder und darunter Paul Veroneses Christus, dem Magdalena die gewaschenen Füße abtrocknet. Diese ist so schön, daß man fürchten sollte, sie werde gewiß noch einmal verführt werden. Ich stand lange vor ihr – ach, sie schaute nicht auf! Christus steht da wie ein Religionshamlet: go to a nunnery. Hier fand ich auch einige Holländer und vorzügliche Bilder von Rubens, letztere ganz durchdrungen von der kolossalen Heiterkeit dieses niederländischen Titanen, dessen Geistesflügel so stark waren, daß er bis zur Sonne emporflog, obgleich hundert Zentner holländischer Käse an seinen Beinen hingen. Ich kann dem kleinsten Bilde dieses großen Malers nicht vorübergehen, ohne den Zoll meiner Bewundrung zu entrichten. Um so mehr, da es jetzt Mode wird, ihn, ob seines Mangels an Idealität, nur mit Achselzucken zu betrachten. Die historische Schule zu München zeigt sich besonders groß in solcher Betrachtung. Man sehe nur, mit welcher vornehmen Geringschätzung der langhaarige Cornelianer durch den Rubenssaal wandelt! Vielleicht aber ist der Irrtum der Jünger erklärlich, wenn man den großen Gegensatz betrachtet, den Peter Cornelius zu Peter Paul Rubens bildet. Es läßt sich fast kein größerer Gegensatz ersinnen – und nichtsdestoweniger ist mir bisweilen zu Sinn, als hätten beide dennoch Ähnlichkeiten, die ich mehr ahnen als anschauen könne. Vielleicht sind landsmannschaftliche Eigenheiten in ihnen verborgen, die den dritten Landsmann, nämlich mich, wie leise heimische Laute ansprechen. Diese geheime Verwandtschaft besteht aber nimmermehr in der niederländischen Heiterkeit und Farbenlust, die uns aus allen Bildern des Rubens entgegenlacht, so daß man meinen sollte, er habe sie im freudigen Rheinweinrausch gemalt, während tanzende Kirmesmusik um ihn her jubelte. Wahrlich, die Bilder des Cornelius scheinen eher am Karfreitage gemalt zu sein, während[268] die schwermütigen Leidenslieder der Prozession durch die Straßen zogen und im Atelier und Herzen des Malers widerhallten. In der Produktivität, in der Schöpfungskühnheit, in der genialen Ursprünglichkeit sind sich beide ähnlicher, beide sind geborne Maler und gehören zu dem Zyklus großer Meister, die größtenteils zur Zeit des Raffael blühten, einer Zeit, die auf Rubens noch ihren unmittelbaren Einfluß üben konnte, die aber von der unsrigen so abgeschieden ist, daß wir ob der Erscheinung des Peter Cornelius fast erschrecken, daß er uns manchmal vorkommt wie der Geist eines jener großen Maler aus raffaelscher Zeit, der aus dem Grabe hervorsteige, um noch einige Bilder zu malen, ein toter Schöpfer, selbstbeschworen durch das mitbegrabene, inwohnende Lebenswort. Betrachten wir seine Bilder, so sehen sie uns an wie mit Augen des funfzehnten Jahrhunderts, gespenstisch sind die Gewänder, als rauschten sie uns vorbei um Mitternacht, zauberkräftig sind die Leiber, traumrichtig gezeichnet, gewaltsam wahr, nur das Blut fehlt ihnen, das pulsierende Leben, die Farbe. Ja, Cornelius ist ein Schöpfer, doch betrachten wir seine Geschöpfe, so will es uns bedünken, als könnten sie alle nicht lange leben, als seien sie alle eine Stunde vor ihrem Tode gemalt, als trügen sie alle die wehmütige Ahnung des Sterbens. Trotz ihrer Heiterkeit erregen die Gestalten des Rubens ein ähnliches Gefühl in unserer Seele; diese scheinen ebenfalls den Todeskeim in sich zu tragen, und es ist uns, als müßten sie eben durch ihre Lebensüberfülle, durch ihre rote Vollblütigkeit, plötzlich vom Schlage gerührt werden. Das ist sie vielleicht, die geheime Verwandtschaft, die wir in der Vergleichung beider Meister so wundersam ahnen. Die höchste Lust in einigen Bildern des Rubens und der tiefste Trübsinn in denen des Cornelius erregen in uns vielleicht dasselbe Gefühl. Woher aber dieser Trübsinn bei einem Niederländer? Es ist vielleicht eben das schaurige Bewußtsein, daß er einer längst verklungenen Zeit angehört und sein Leben eine mystische Nachsendung ist – denn ach! er ist nicht bloß der einzige große Maler, der jetzt lebt, sondern vielleicht auch der letzte, der auf dieser Erde[269] malen wird; vor ihm, bis zur Zeit der Carraccis, ist ein langes Dunkel, und hinter ihm schlagen wieder die Schatten zusammen, seine Hand ist eine lichte, einsame Geisterhand in der Nacht der Kunst, und die Bilder, die sie malt, tragen die unheimliche Trauer solcher ernsten, schroffen Abgeschiedenheit. Ich habe diese letzte Malerhand nie ohne geheimen Schauer betrachten können, wenn ich den Mann selbst sah, den kleinen scharfen Mann mit den heißen Augen; und doch wieder erregte diese Hand in mir das Gefühl der traulichsten Pietät, da ich mich erinnerte, daß sie mir einst liebreich auf den kleinen Fingern lag und mir einige Gesichtskonturen ziehen half, als ich, ein kleines Bübchen, auf der Akademie zu Düsseldorf zeichnen lernte.

Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 3, Berlin und Weimar 21972, S. 267-270.
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