Kapitel IX

[212] Brixen war die zweite größere Stadt Tirols, wo ich einkehrte. Sie liegt in einem Tal, und als ich ankam, war sie mit Dampf und Abendschatten übergossen. Dämmernde Stille, melancholisches Glockengebimmel, die Schafe trippelten nach ihren Ställen, die Menschen nach den Kirchen; überall beklemmender Geruch von häßlichen Heiligenbildern und getrocknetem Heu.

»Die Jesuiten sind in Brixen«, hatte ich kurz vorher im »Hesperus« gelesen. Ich sah mich auf allen Straßen nach ihnen um; aber ich habe niemanden gesehen, der einem Jesuiten glich, es sei denn jener dicke Mann mit geistlich dreieckigem[212] Hut und pfäffisch geschnittenem schwarzen Rock, der alt und abgetragen war und mit den glänzend neuen schwarzen Hosen gar auffallend kontrastierte.

›Das kann auch kein Jesuit sein‹, sprach ich endlich zu mir selber; denn ich habe mir immer die Jesuiten etwas mager gedacht. Ob es wirklich noch Jesuiten gibt? Manchmal will es mich bedünken, als sei ihre Existenz nur eine Schimäre, als spuke nur die Angst vor ihnen noch in unseren Köpfen, nachdem längst die Gefahr vorüber, und alles Eifern gegen Jesuiten mahnt mich dann an Leute, die, wenn es längst aufgehört hat zu regnen, noch immer mit aufgespannten Regenschirmen umhergehen. Ja, mich dünkt zuweilen, der Teufel, der Adel und die Jesuiten existieren nur so lange, als man an sie glaubt. Vom Teufel könnten wir es wohl ganz bestimmt behaupten, denn nur die Gläubigen haben ihn bisher gesehen. Auch in betreff des Adels werden wir im Laufe einiger Zeit die Erfahrung machen, daß die bonne société aufhören wird, die bonne société zu sein, sobald der gute Bürgersmann nicht mehr die Güte hat, sie für die bonne société zu halten. Aber die Jesuiten? Wenigstens haben sie doch nicht mehr die alten Hosen an! Die alten Jesuiten liegen im Grabe mit ihren alten Hosen, Begierden, Weltplänen, Ränken, Distinktionen, Reservationen und Giften, und was wir jetzt in neuen, glänzenden Hosen durch die Welt schleichen sehen, ist nicht sowohl ihr Geist als vielmehr ihr Gespenst, ein albernes, blödsinniges Gespenst, das uns täglich durch Wort und Tat zu beweisen sucht, wie wenig es furchtbar sei; und wahrlich, es mahnt uns an die Geschichte von einem ähnlichen Gespenste im Thüringer Walde, das einst die Leute, so sich vor ihm fürchteten, von ihrer Furcht befreite, indem es, vor aller Augen, seinen Schädel von den Schultern herabnahm und jedem zeigte, daß er inwendig ganz hohl und leer sei.

Ich kann nicht umhin, nachträglich zu erzählen, daß ich Gelegenheit fand, den dicken Mann mit den glänzend neuen Hosen genauer zu beobachten und mich zu überzeugen, daß er kein Jesuit war, sondern ein ganz gewöhnliches Vieh Gottes.[213] Ich traf ihn nämlich in der Gaststube meines Wirtshauses, wo er zu Nacht speiste, in Gesellschaft eines langen, magern, Exzellenz genannten Mannes, der jenem alten hagestolzlichen Landjunker, den uns Shakespeare geschildert, so ähnlich war, daß es schien, als habe die Natur ein Plagiat begangen. Beide würzten ihr Mahl, indem sie die Aufwärterin mit Karessen bedrängten, die das liebe, bildschöne Mädchen nicht wenig anzuekeln schienen, so daß sie sich mit Gewalt losriß, wenn der eine sie hinten klätschelte oder der andere sie gar zu embrassieren suchte. Dabei rissen sie ihre rohesten Zoten, die das Mädchen, wie sie wußten, nicht umhin konnte anzuhören, da sie zur Aufwartung der Gäste und auch, um mir den Tisch zu decken, im Zimmer bleiben mußte. Als jedoch die Ungebühr ganz unleidlich wurde, ließ die junge Person plötzlich alles stehen und liegen, eilte zur Tür hinaus und kam erst nach einigen Minuten ins Zimmer zurück, mit einem kleinen Kinde auf dem Arm, das sie die ganze Zeit auf dem Arm behielt, während sie im Gastzimmer ihre Geschäfte besorgte, obgleich ihr diese dadurch um so beschwerlicher wurden. Die beiden Kumpane aber, der geistliche und der adlige Herr, wagten keine einzige Belästigung mehr gegen das Mädchen, das jetzt ohne Unfreundlichkeit, jedoch mit seltsamem Ernst sie bediente; – das Gespräch nahm eine andere Wendung, beide schwatzten jetzt das gewöhnliche Geschwätz von der großen Verschwörung gegen Thron und Altar, sie verständigten sich über die Notwendigkeit strenger Maßregeln und reichten sich mehrmals die heiligen Allianzhände.

Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 3, Berlin und Weimar 21972, S. 212-214.
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