Scena quarta.

[665] Vincentius Ladislaus. Sacerdos.


VINCENTIUS LADISZLAUS ist vom schlaff auffgestanden, kömpt in seinem Schlaffpeltz, hat ein Bettbuch in seiner Hand, gehet auff vnd nider, stellet sich gar andechtig, Siehet gen Himmel, schlegt an seine Brust, vnd sagt. Deus miserere mei,[665] Deus miserere mei. Stellet sich als wenn er weinet, vnd wann er auch die vorigen wort redet, muß er sie gar weinend reden, felt nider auff die Erden, küsset sie, bleibt eine weile liegen, darnach steht er wider auff, vnd erzeigt sich noch, wie vor, gantz andechtig, inmittelst kömpt ein Priester gegangen, vnd wie er den sihet, stellet er sich noch zehen mal andechtiger, vnnd repetirt die vorigen Wort. O Deus miserere mei, O Domine iudicar noli. Der Priester redet mit sich selber, dicens.

SACERDOS.

Sich was mag das für einer sein?

Ich gleub der Mensch sey thöricht? nein:

Sich wie er gaucklt, ich muß zusehn,

Vnd doch ein wenig näher gehn,

Was er doch fürhat, wundert mich,

Das ist doch gar zu lächerlich.


Gehet allgemach hinzu, wie jhn nu Vincentius Ladißlaus ersihet, geht er gar prechtig, vnnd mit grosser reuerentz zu jhm vnd spricht.


VINCENTIUS LADISZLAUS.

Wir Vincentius Ladißlaus,

Kempffer zu Roß vnd auch zu Fuß,

Sonst Satrapa von Mantua,

Entbietn Ewr Ehrwirden allda,

Ein glückselign vnd frölichn morgn,

Mit Tag vnd Abend ohne sorgn,

Der Herr muß von vns in vngut

Nicht auffnemn, hoffen daß ers thut,

Daß wir mit dem Herrn jetzger zeit,

Reden, weil wir nicht angekleidt,

Denn es ist vnser stetigr Brauch,

Welchs wir thun alle morgen auch,

Ehe vnser Madnsack wird bekleidt,

Der von der Erden ist bereit,

Vnd widr zur Erden werden muß,

Sagn wir, thun wir ohn alln verdruß,

Allzeit vnser innigs Gebet,

Vnd seufftzen auch von hertzen stet,

Zu vnserm allmächtigem HErrn,

Der Himll vnd Erdn, vnd auch die Stern,[666]

Weißlich erschaffen vnd gemacht,

Vnd helt die Creaturn in acht,

Wie wir denn ein stund oder zwey,

Vns allr gescheffte machen frey,

Müßigen vns so viel behendt

Vnter dem offnen Firmament

Des Himmels: mit grosser andacht

Haben wir solches offt verbracht,

Seufftzen vnd sehnen auch dazu,

Wie ohne allen zweiffel nu,

Der Herr von vns wird han gesehn.

SACERDOS.

Ich sachs wol, do ich thet hergehn,

Das euch das Gbet wol thete fliessn,

Vnd gäucklt mit henden, augn vnd füssn,

Hab aber bey mir nicht gedacht,

Wie jetzt von euch wird vorgebracht,

Der Phariseer im Tempel war,

Vnd lag da nider vorm Altar,

Vnd rühmbte seine Frömigkeit,

Der Zölner aber stund von weit,

Vorn an der Thür, schlug an sein brust,

Zu des Gebet hat Gott mehr lust,

Solchs jhm auch angenemer war,

Denn des andern sein Formular.

VINCENTIUS LADISZLAUS.

Wann es dem Herrn gelegen wer,

Möchten wir wol mit dem Herren mehr,

Aus der Schrifft etwas conferirn,

Denn wir darin fleißig studirn,

Vnd sind darin auch wol erfahrn,

Daß wir in diesen vnsern Jahrn

So weit sind komn, dz wenn wir woltn,

Vnd solchs gar bald præstiren soltn,

So könten wir nu trawn gar fein

Doctor sacræ Scripturæ sein,

In nostra enim juventus,

Nos dicigens studivimus,[667]

Et possumus elegans loquare

Latina, et si Domini placaret,

Vellamus cum Dominatio vester disputere.

SACERDOS.

Ich versteh diese Sprach nicht wol,

Denn da ich studirt in der Schul,

Pflag man solch hohe zierliche

Vnd nach der Kunst natürliche

Phrases loquendi nicht zu habn,

Welchs trawn sind sonderliche Gabn:

So wil es auch die zeit nicht gebn,

Jetzund mit euch zu reden ebn,

Denn ich hab was anders zu thun,

Seid Gott dem HErrn befohlen nun.


Gehet abe.


Quelle:
Herzog Heinrich Julius von Braunschweig: Die Schauspiele. Stuttgart 1855, S. 665-668.
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