I.
Aurora und Cephalus.

Se della moglie sua vuol l' uomo

Tutto saper, quanto ella fece, e disse;

Cade dall' allegrezze in pianti, e in guai;

Onde non può più rilevarsi mai.

Ariosto.
[11]

Aurora und Cephalus.

Noch lag, umhüllt vom braunen Schleyer

Der Mitternacht, die halbe Welt;

Es ruht' in ungestörter Feyer

Das stille Thal, das öde Feld,

Der Nymphen-Chor an ihren Krügen,

Der trunkne Faun auf seinem Schlauch;

Vielleicht fügts Nacht und Zufall auch,

Daß Manche noch bequemer liegen;

Der Elfen schöne Königinn

Hatt' ihren Ringel-Tanz beschlossen,

Und sanft auf Blumen hingegossen

Schlief jede kleine Tänzerinn;

Und kurz, es war zur Zeit der Mette,

Als sich Auror zum erstenmal

Aus ihrem Rosen-Bette

Von Tithons Seite stahl.


Die Schlafsucht, die sie ihrem Gatten

Sonst öfters vorzurücken pflag,

Kam diesesmal ihr wohl zu statten.

Sie zieht die Brust, an der er schnarchend lag,

Sanft unter ihm hinweg, verschiebt mit Zephyr-Händen

Die Decke, glitscht heraus, deckt leis' ihn wieder zu,[13]

Wirft einen Schlafrock um die Lenden,

Und wünscht ihm eine sanfte Ruh.


Sie fand im Vorgemach die Stunden,

Die ihre Zofen sind, vom Schlummer noch gebunden,

Nur eine ward, indem die Göttinn sich

Mit leisem Fuß bey ihr vorüber schlich,

Aus einem Traum, den Mädchen gerne träumen,

Halb aufgeschreckt; sie schrie, wie Nymphen schreyn,

Um feuriger geküßt, nicht um gehört zu seyn;

Auror' erschrickt und flieht; allein,

Das Mädchen legt sich, ruhig auszuträumen,

Auf's andre Ohr, und schlummert wieder ein.


Die Göttinn eilt, spannt (was sie nie gethan)

Mit eigner schöner Hand vor ihren Silber-Wagen

Drey rosenfarbe Stuten an,

Und läßt sich nach Hymettus tragen.

Dort steigt sie ab, läßt Pferd und Wagen

In einer Grotte stehn, und sucht mit zartem Fuß,

Aus dessen Tritten Rosen sprossen,

Den schönen Cephalus.


Aurora? Wie? – das Muster weiser Frauen,

Auf deren Treu, die schon Homer uns pries,

Ein jeder alter Mann sein junges Weibchen schauen

Und sie zum Vorbild nehmen hieß?

Sie, die nur ihrem Tithon lachte,[14]

Und, ob er gleich bey silbergrauem Haar

Und taubem Ohr kaum noch ergötzbar war,

Doch Tag und Nacht auf sein Ergötzen dachte;

Die ihre schöne Brust zu seinem Pfülben machte,

Und wenn, nach alter Männer Art,

Die schöne Brust von ihm begeifert ward,

Sich's doch nicht eckeln ließ, ihm ganze Nächte wachte,

Ihm oft die Füße rieb, ihm oft den Puls befühlt',

Erwärmend ihn in ihren Armen hielt,

Ihn immer fragt', ob ihm was fehlte,

Und bis er schlief ihm Mährchen vorerzählte –

Aurora, die so viele Proben gab,

Wie zärtlich sie den alten Tithon liebe;

Sie fiele nun auf einmal ab,

Und hegte fremde Triebe?


Mir ist es leid, daß ich's gestehen muß,

Ihr mögt nun, was ihr wollt, von ihrer Tugend halten,

Allein, so war's! Sie schlich von ihrem Alten

Sich heimlich weg, und sucht den jüngern Kuß

Des schönen Cephalus.


Helvetius und Büffon werden sagen,

Das dieses nicht so unnatürlich sey;

Allein, wie fromme Leute klagen,

So denken beide ziemlich frey.

Doch selbst Sanct Thomas will vorlängst gesehen haben,[15]

Daß junger Mädchen Aug' auf schönen jungen Knaben

Sich gern verweilt; und an Gestalt,

An Neigungen und Reizbarkeit der Sinnen,

Sind, wie man weiß, die ältesten Göttinnen

Stets sechszehn Jahre alt.


Dis war Aurorens Fall, als auf Hymettus Höhen,

Zur Jagd geschürzt, mit Bogen, Pfeil und Spieß,

Der schone Jäger ihr zum erstenmal sich wies.

Verbeut die strengste Pflicht, was sichtbar ist, zu sehen?

Sie sah in Unschuld hin, und blieb, ihm nachzusehen,

Uneingedenk der laurenden Gefahr,

Auf einer Silber-Wolke stehen.

War's ihre Schuld, daß er so reizend war?

Es bleibt hiebey. Doch, da sie, wider Hoffen,

Zum zweytenmal ihn schlafend angetroffen,

Wie sollte sie dem Einfall widerstehn,

Von ihrem Wagen abzusteigen

Um ihn genauer anzusehn?

Die Dämmrung macht oft Manche schön,

Die sich im Sonnenschein mit schlechtem Vortheil zeigen,

Sie muß doch sehn, ob's hier nicht auch so sey.

Er flog letzthin zu schnell vorbey;

Was schadet's näher hinzugehen?

Sie thut's. Allein, wie angenehm erblaßt,

Da sie ihn recht in's Auge faßt,

Ihr Rosen-Mund – den Tithon selbst zu sehen![16]

Den Tithon? – Ja, doch wie er damals war,

Als er, in auserlesner Schaar

Der schönsten Phrygier, vor Allen

Der Schönste war, vor Allen ihr gefallen,

Mit langem dunkelbraunen Haar,

Mit blühendem Gesicht und Lippen von Corallen.


Je mehr sie ihn beschaut, je stärkre Farben leiht

Ihr gern betrognes Herz der seltnen Aehnlichkeit.

Sie überläßt sich nun mit Ruh den neuen Trieben,

Und findt, ich weiß nicht was für eine Süßigkeit,

Den werthen Greis im Cephalus zu lieben.

Mit welcher Lust, mit welcher Zärtlichkeit

Sie auf das Ebenbild von Tithons schöner Zeit

Die gern betrognen Blicke heftet!

So war er einst mit jedem Reiz geschmückt,

So ward er oft, eh ihn der Jahre Last entkräftet,

Im Taumel süßer Lust an ihre Brust gedrückt!


So sieht und liebt, nach Platons Lehren,

Der junge Kallias in seiner Tänzerinn

Das höchste Gut, womit sich unsre Geister nähren,

Eh' sie, Gott weiß warum, in diese Leiber ziehn.

Singt ihm, den Grazien zu Ehren,

Ihr süßer Mund ein tejisch Liedchen vor,

So glaubt euch der entzückte Thor,

Er höre den Gesang der Sphären:

Ein Druck von ihrer weichen Hand,[17]

Ein Kuß der buhlerischen Zungen,

Erweckt von seinem Götter-Stand

Die schlummernden Erinnerungen;

Auf einmal ist's, ob um ihn her

Der blaue Himmel offen wär',

Er sieht die Sterne doppelt blinken;

Er steigt, verliert sich in den Schwarm

Der Geister, welche Nektar trinken,

Glaubt in den Quell des Lichts zu sinken,

Und sinkt in – Phrynens Arm.


Daß oft dergleichen Aehnlichkeiten

Zu süßen Irrungen verleiten,

Ist ein Erfahrungsatz, den Niemand läugnen wird.

Aurora sah, durch sie verführt,

Im schönen Cephalus den Tithon sich verjüngen,

Und sah es kaum, so faßt sie schon den Schluß,

Die Stunden, welche sie, nicht ohne Ueberdruß,

Bey Diesem nur verträumen muß,

Mit Jenem muntrer zuzubringen.


Mit welcher Lust verschlingt ihr lauschend Ohr

Der raschen Stöber Laut, die ins Gehölze dringen!

Sonst hörte sie der Lerchen frühes Chor

Gern neben ihrem Wagen singen:

Allein ihr däucht in diesem Augenblick

Hylaktors Jagd-Geheul die lieblichste Musik.

Sie sieht die muntern Jäger ziehen,[18]

Das Hift-Horn tönt, der Wald erwacht,

Die Hunde schlagen an, die scheuhen Rehe fliehen;

Doch plötzlich fühlt von einer fremden Macht

Der Jüngling sich ergriffen, fortgezogen,

Und schneller als ein Pfeil vom Bogen

Durch Luft und Wolken weg, wer weiß wohin, gebracht.


Betäubt von seinem Abentheuer

Begriff er nicht, wie ihm geschah.

Er sieht aus Furcht, die stets Gespenster sah,

Bey zugeschloßnem Aug, ein gräßlich Ungeheuer

Mit offnem Schlund ihm dräun und glaubt sein Letztes nah.

Doch Düfte von Ambrosia,

Die ihm, mit süßerm Schwall, als von den Zimmet-Hügeln

An Ceylans Strand, entgegenwehn,

Ermuntern ihn zuletzt, die Augen aufzuriegeln;

Und o! wer wünschte nicht, was er itzt sah zu sehn!


Der Perlenmutter-Saal mit Säulen von Rubinen,

Den unsre Göttinn sich zum Schauplatz auserkohr,

Hat einem Kenner nicht romantisch gnug geschienen.

So stellt euch dann umwölbet mit Schasminen

Auf weichem Moos ein Blumen-Bette vor,

Mit reichem Sammt bedeckt; auf diesem Blumen-Bette,

Was Jupiter sich selbst gewünschet hätte:

Die schönste Fee, so schön und jung, als man

An einem Sommer-Tag sie immer sehen kann;

Und diese Fee in einer Lage[19]

Wie Titian der Liebes-Göttinn giebt,

Und in dem halbgebrochnen Tage,

Worinn die blöde Schaam sich williger ergiebt;

Verhüllt, doch so, daß jede kleine Regung

Das neidische Gewand verschiebt,

Und unter seidnem Flor die steigende Bewegung

Des schönsten Busens sichtbar wird –

Den Anblick stellt euch vor, und werdet nicht gerührt!


Der Jüngling ward's, der in dem Augenblicke,

Worinn der schöne Gegenstand

Ihn überrascht, zu gutem Glücke

Sich selbst zu ihren Füßen fand.


Die Göttinn wundert, wie natürlich,

Sich ungemein, ihn hier zu sehn;

Und er giebt ihr, doch nur figürlich,

Den ganzen Eindruck zu verstehn,

Den so viel reizungsvolle Sachen

Auf sein geblendtes Auge machen.

Die Freyheit, die er nimmt, fällt billig

Dem Schicksal, nach Gebrauch, zur Last;

Und wenn Auror' ihn nur nicht haßt,

Ist er zu jeder Strafe willig.


Aurora will ihm gern gestehn,

Daß Leute, die ihm ähnlich sehn,

Nicht sehr gehaßt zu werden pflegen:

Es sey ihr auch nicht sehr entgegen,[20]

(Sie hält, indem sie dieses spricht,

Die Rosen-Finger vor's Gesicht)

Von einem hübschen Mann sich hochgeschätzt zu wissen –

Wie weit ihr eignes Herz hiebey

Vielleicht zu gehen fähig sey,

Das werde mit der Zeit sich erst entwickeln müssen –

Man komme mit Beständigkeit

Und vielem Muth im Lieben weit;

Doch, was sie seiner Zärtlichkeit

Für diesesmal gestatten wollte –

(Und dieses selbst vielleicht noch nicht gestatten sollte)

Sey, nebst dem Recht, sie ungescheut

Auf seinen Knieen anzuschauen,

Ein ungezweifeltes Vertrauen

In seine Ehrerbietigkeit.


Mein Mann verspricht mit vielen Schwüren,

Indem er ihre Knie aus Dankbarkeit umfaßt,

Sich sehr bescheiden aufzuführen;

Doch Dankbarkeit ist eine schwere Last!

Aus Dankbarkeit, von der er glühet,

Wird ihre schöne Hand, wer weiß wie oft, geküßt,

Und da man sie zerstreut zurücke ziehet,

Indem er noch im Küssen ist,

Verirrt sein Mund – da seht mir doch die Musen!1[21]

Die kleinen Spröden schämen sich

Und halten plötzlich ein – doch ich bekenn' es, ich,

(Und Cicero an Pätum spricht für mich)

Verirrt – wie leicht verirrt man sich! –

Verirrt sein Mund auf ihren Busen.


»Wer einmal, (spricht Marx Tullius,

Doch nicht im Buche von den Sitten)

Und wär's nur mit dem linken Fuß,

Des Wohlstands Gränzen überschritten,

Dem rath' ich, statt aus Blödigkeit

Auf halbem Wege stehn zu bleiben,

Vielmehr die Unbescheidenheit,

So weit sie gehen kann, zu treiben.«


Dies Axioma mag sehr oft nach Ort und Zeit

Ein Körnchen Salz in praxi nöthig haben;

Vermessne, unbescheidne Knaben,

Mit Bart und ohne Bart, gehn leicht hierinn zu weit.

Doch Cephalus (man muß eins wie das andre sagen)[22]

Befand sich wohl bey dem, was Marcus schrieb:

Er wagts von Grad zu Grad, bis ihm vor lauter Wagen

Nichts mehr zu wagen übrig blieb.


Wenn seinem Ungestüm die Göttinn endlich wich,

So that sie freylich nichts, als was sie längst beschlossen.

Mit Cephalus verhielt es sich

Nicht so. Ihm war ein Glück, das ihn den Göttern glich,

Durch bloßen Zufall aufgestoßen,

Und diese Zauberey, die süße Trunkenheit,

Die sein Gehirn auf ziemlich lange Zeit

Der Stimme seiner Pflicht verschlossen,

Ward gradweis aufgelöst, uno endlich ganz zerstreut.


Ihm hatte, da sein Mund (wie schon gesagt) verirrte,

Die Phantasie den gleichen Streich gespielt,

Wodurch die Göttinn ihn für ihren Tithon hielt.

Es stellt' im Feuer der Begierde

Ihm in Auror' sich seine Procris dar:

Wie ähnlich, Götter! Ja, fürwahr!

Sie ist's, Sie ist's! An Stirn und Brust und Haar

Kann in der Welt sich nichts vollkommner gleichen!

Wen muß dies Lächeln nicht erweichen?

So lächelt Procris nur! So schön

Sah er in ihren blauen Augen,

Vor Uebermaaß der Wonne, Thränen flehn,

Und war entzückt sie aufzusaugen!


So dacht' er und Auror, in diesem Stück mehr klug[23]

Als zärtlich, sieht und nährt den nützlichen Betrug.

Nehmt noch dazu die zärtlichste der Farben,

Die dieser Göttinn eigen ist,

Das süße Rosenroth, das ihren Leib umfließt,

Und einen Mund der Griechisch küßt,

Und Augen, die vor Wollust starben:

So wird bey Leuten, die verzeihn,

Sein Selbstbetrug vielleicht verzeihlich seyn.


Doch, wie die stärksten Zauberey'n

Der Wahrheit endlich weichen müssen,

So däucht auch ihm, nach wiederholten Küssen,

Die Aehnlichkeit nicht mehr so groß zu seyn.

Der Dunst zerfließt, der sein Gesicht geblendet,

Er staunt, er fühlt sich träg' und lau,

Und zürnt schon auf sich selbst, daß er an Tithons Frau

So viel Entzückungen verschwendet.

Vergebens sucht ihr feuervoller Blick

Die Flamme wieder anzufachen,

Ihm winkt umsonst ein neues Glück

In ihrem offnen Arm; die Scherze fliehn zurück,

Und Reu' und Ueberdruß erwachen.


Bald kommt es, wie man denken kann,

Zu Fragen und Erläuterungen,

Und Cephalus, von Schaam und Schmerz bezwungen,

Fängt stotternd diese Beichte an:


Zu wahr ist's nur, o Göttinn, mein Betragen[24]

Beleidigt deinen Reiz, und läßt mir weiter nichts,

Als tiefbeschämt mich selber anzuklagen.

Nicht halb so sehr verwirrt von deinen Klagen,

Als meiner eignen Schuld, weiß ich, beym Gott des Lichts!

Nicht was ich sagen soll – Mein Herr, das thut hier nichts,

Fällt ihm Aurora ein, ihr braucht euch nicht zu plagen;

Der Eingang will, so viel ich merke, sagen,

Ihr liebt mich nicht, und habt mich nie geliebt?


Ach, allzuwahr! (ruft Cephalus betrübt,

Indem Auror, doch nur mit halbem Munde,

Bey seinem Ach ihm an die Nase lacht)

Ja, ich gesteh's, daß diese Morgen-Stunde

Mich doppelt ungetreu, mich doppelt strafbar macht.

Unwürdig so beglückt zu werden,

Liebt' ich, o Göttin, dich – die, ohne Schmeicheley,

So sehr verdient, daß ihr ein Herz sich weih –

Dich liebt' ich nie; und ihr – der einzigen auf Erden,

Für die ich zärtlich bin – ihr ward ich ungetreu!


Das Compliment, versetzt die Dame,

Ist minder schmeichelhaft als neu;

Doch, wenn man bitten darf, der Name

Der Schönen, die das hohe Glück genießt,

Daß solch ein Herz für sie nur zärtlich ist?


Der Schein, ich fühl's und sag's mit Schmerzen,

Ist wider mich, spricht Cephalus;

Und doch – vergieb, daß ich so deutlich reden muß![25]

Du hattest nichts als meinen Kuß,

Und Procris war in meinem Herzen.

Wir waren schon vom Führband an

Die unzertrennlichsten Gespielen,

Und lieben uns, seitdem wir fühlen,

So zärtlich als man lieben kann.

Als Kind schon kannt' ich keine Lust

Als meiner Procris liebzukosen,

Lag gerne mit ihr unter Rosen,

Und spielte mit der jungen Brust.

Wie ward sie oft im Sommerschatten

Am kühlen Bach von mir belauscht!

Wir wußten nicht warum, und hatten

Schon unsre Herzen ausgetauscht.

So wurden wir bey Scherz und Küssen

Eins in des andern Armen groß,

Und unwillkommne Pflichten rissen

Mich weinend itzt aus ihrem Schooß.

Nun folgten kriegerische Spiele

Dem Gänsepiel, der blinden Kuh;

Es floh vorm lermenden Gewühle

Der Kindheit sorgenlose Ruh.

Allein das Bild der holden Schönen

Schwebt mir, wohin ich gehe, nach;

Ein banges wehmuthsvolles Sehnen

Ertränkt mein Aug in stillen Thränen,[26]

Und hält in oder Nacht mich wach.

Itzt deucht der Tag mich nicht mehr helle,

Die Luft nicht blau, der Frühling todt;

Nichts reizt mich mehr, kein Abendroth,

Kein Hayn, kein Schlummer an der Quelle.

Allein sobald ein Götter-Fest

Die Mädchen sichtbar werden läßt,

Und Procris, weiß und frisch-umkränzet,

Mit offner Brust und freyem Haar,

Die Schönste in der bunten Schaar,

Wie Hebe mir entgegenglänzet;

Dann ist mir – nein! der Götter Glück

Kann keinen höhern Grad erschwingen!

Mein offnes Aug, mein starrer Blick

Scheint ihre Reize zu verschlingen:

Sie sieht im gleichen Augenblick

Nach mir sich um, und unsre Blicke

Begegnen sich; sie seufzt, und zieht,

Da sie mein Auge schmachten sieht,

Verschämt die ihrigen zurücke;

Doch bald von Amorn übermogt,

Der ihr im jungen Busen pocht,

Kann sie sich länger nicht erwehren,

Sich zärtlich nach mir hin zu kehren;

Sie füht – »Sehr wohl, mein Herr! Sie fühlt,

Was alle junge Mädchen fühlen.[27]

Sagt mir, ihr, der so vieles fühlt,

Was soll die Elegie erzielen,

Womit ihr mich hier abgekühlt?

Man dächte, wenn man euch so reden hört, es hätte

Noch Niemand es, wie ihr gemacht;

Fangt lieber den Roman von hinten an, ich wette

Er endet doch in einer Hochzeit-Nacht.«


Um kurz zu seyn, so sind es nun drey Jahre,

Fuhr Cephal fort, daß Hymen uns beglückt,

Und ich in Procris Arm erfahre,

Daß After-Liebe nur von Sättigung erstickt.

Mir ist, ob jede Nacht die allererste wäre,

Man sagt sonst der Genuß verzehre

Der stärksten Liebe Glut; bey uns ist's umgekehrt,

Die unsre wird dadurch genährt,

Und wächst, dem Phönix gleich, aus ihrer eignen Asche.

Der Herr (fällt hier die Göttinn ein)

Hat, wahrlich! aus der Purpur-Flasche

Bescheid gethan, er liebt ja ungemein!

Wer hätte sich bey so gestellten Sachen

Des Glücks versehn, ihn ungetreu zu machen?

So widersinnisch als es klingt,

Versetzt er mit gesenkten Blicken,

So wahr ist's doch: was mir ihr Bild vor Augen bringt,

Ein Zug von ihr, ein Blick, ein Augen-Nicken,

Wie Procris nickt, das setzt mich in Entzücken;[28]

Und reizend, Göttinn, wie du bist,

Konnt' Amorn diese Hinterlist

Nur gar zu leicht, zumal im Dunkeln, glücken.

Allein bey kälterm Blut und hellerm Sonnenschein

Soll Venus selbst nicht fähig seyn,

Noch einmal mich so zu berücken.


Die Göttinn wendet lächelnd ein:

Was einst geschehen sey, das könne mehr geschehen.

Sie hofft umsonst! Er schwört ihr Stein und Bein,

Sie niemals mehr für Procris anzusehen.


Und meynst du, fragt Auror, daß ihre Gegentreu

Der seltnen Großmuth würdig sey,

Ihr einer Göttinn Gunst zum Opfer darzubringen?

Die Herzen, glaube mir, sind rar,

Die man versuchen darf, du kennest Amor's Schlingen!

Ein zärtlich Weib ist immer in Gefahr.

Und wäre sie in Danae's Verwahr,

Wohin kann nicht ein goldner Regen dringen?


Seyd unbesorgt, erwiedert unser Held,

Ihr würde selbst vom Zevs vergebens nachgestellt.

Ich kenne sie; sie würd' in ihrem Leben

Auf einen andern Mann, und wär' es ein Adon,

Sich keinen Seiten-Blick vergeben.

Der Götter Fürst regiert auf seinem Thron

Nicht ruhiger, als ich in ihrem Herzen.
[29]

Du bist beglückt, versetzt Tithonia,

Und ferne sey's von mir, sie bey dir anzuschwärzen.

Allein, erinnre dich, was kaum dir selbst geschah.

Gelegenheit, mein guter Freund, und Jugend

Sind immer ihrem Falle nah.

Wie oft, daß sich die strengste Tugend

Zu schwach zum Widerstande sah?

Zu allem Glück war kein Versucher da;

Allein man spielt nicht allezeit im Glücke,

Und Unschuld, die nichts Böses denkt noch scheut,

Fällt manchmal bloß aus Sicherheit

In Amors unsichtbare Stricke.


Aurora, die mit Kenntniß sprechen kann,

Spricht so beredt vom süßen Gift der Sünde,

Und unsrer Fehlbarkeit, giebt ihm so viele Gründe,

Und führt so manches Beyspiel an,

Daß ihr die List gelingt. Der Mann fällt in Gedanken,

Und staunt mit unterstütztem Haupt,

Und staunt so lang, bis er Frau Procris fähig glaubt,

Wo nicht zu fallen, doch zu wanken.

Die Eifersucht, ein Uebel, daß er nie

Bisher gekannt, verwirrt schon sein Gehirne,

Es schwindelt ihm, es schwanken ihm die Knie,

Er reibt sich die gerümpfte Stirne,

Und seine kranke Phantasie

Zeigt ihm bereits in einer dunkeln Grotte,[30]

Bey Lunens ungewissem Licht,

Was jeder kluge Mann dem Gotte

Von Delphi selbst nicht glaubt, das schreckliche Gesicht!

Dies schwindet zwar, doch seine Unruh nicht;

Es bleibt doch möglich, daß sie fehle.

Wie Manche fiel! Wird Procris wohl allein

Vom Reiz verbotner Frucht nicht zu versuchen seyn?

Sie wird's vielleicht – vielleicht auch Nein,

Und dies Vielleicht, dies foltert seine Seele.

Es koste, was es will, er muß beruhigt seyn!


Die Göttinn spricht: In solchen Fällen

Pflegt man zu bessrer Sicherheit

Oft gute Freunde anzustellen;

Doch Mancher hat es auch bereut.

Nimm, [fährt sie fort, und zieht vom kleinen Finger

Ein Reifchen ab] nimm diesen Talisman,

Er macht dich fremd, unkenntlich, älter, jünger,

Zum reichsten oder schönsten Mann,

Zu was du willst; ein Wunsch, so ist's gethan.

Du kannst hiedurch die Probe selber machen:

Hält sie sich gut, so opfre ja dem Glük;

Wo nicht, so bleibt doch nichts an deiner Stirn zurück,

Und wenn du weinst, so wird doch Niemand lachen2.
[31]

Mein Cephalus geht Alles willig ein,

Bedankt sich, küßt die Hand, doch macht er wenig Worte,

Und wünscht, aus diesem Zauber-Orte

Nur schon daheim zu seyn.

Er eilt hinweg, sieht vor der goldnen Pforte

Ein rosenfarbes Pferd gesattelt und gezäumt,

Steigt auf, und trabt davon, als hätt' er viel versäumt.


Frau Procris saß indeß nach ihres Landes Sitten,

Wie beym Homer Calypso, in der Mitten

Vor einer hübschen Mädchen-Schaar,

Worinn sie, nach Gebühr, als Frau die Schönste war.

Die spinnt, die andre zwirnt, die würkt, und jene flicken,

Die Dame selbst ist emsig dran,

So künstlich als man sticken kann,

Minerven zum Geschenk ein Schleyer-Tuch zu sticken.

Homer erzählte gleich mit großem Wörter-Pracht

Was sie darauf gestickt – als, Sonne, Mond und Sterne,

Den Pol, der Götter Sitz, und in der Ferne

Den Erebus, ja gar die alte Nacht;

Das feste Land, ringsum verschlossen

Vom grauen Ocean, und Luft und Berg und Thal,

Und eine schöne Flur, von Sonnenschein umflossen,

Und einen Hain, wo Vögel ohne Zahl

Die liederreichen Kehlen stimmen,

Und Nymphen, die mit halb entblößtem Leib

In scherzendem Gewühl auf blauen Wellen schwimmen,[32]

Und einen Hirten-Tanz, und wenn die Sterne glimmen,

Im tiefen Hain der Faunen Zeitvertreib;

Dann wie im Herbst durch falbe Trauben-Gärten

Der Wein-Gott zieht, und mit zerstreutem Haar

Die Mänas, und mit taumelnden Gebehrden

Der Satyrn ungezähmte Schaar,

Die tanzend um den Wagen schweben,

Un wie sie den Silen, der fiel,

Lautlachend auf den Esel heben,

Und halbversteckt im Laub der Reben

Der Liebes-Götter loses Spiel:

Dies und wohl zwanzigmal so viel,

Was in der Stadt, im Tempel, auf den Gassen,

Und auf dem Feld begegnen kann,

Das würde sie der gute alte Mann,

Der gar zu gerne malt, recht zierlich sticken lassen:

Doch was man ihm verzeiht, sieht Andern selten an.

Genug! Frau Procris saß und stickte,

Als sich ein Herr Amphibolis,

Dem gleich die Gunst der Kammer-Nymphe glückte,

Bey ihro Gnaden melden ließ.


Ihr erster Einfall war, den Fremden abzuweisen,

Allein das Mädchen überzieht;

Er ist ein feiner Mann, Madam, er kommt von Reisen,

Und bringt vom Herrn uns Nachricht mit.


Man läßt ihn vor, hört seinen Auftrag an,[33]

Dankt ihm, entschuldigt sich, und läßt ihn wieder gehen.

Das Schlimmste war dabey, daß man

Ihn kaum ein einzigsmal nur flüchtig angesehen.

So sehr er sich beym ersten Blick

Des Mädchens Gunst erwarb, so muß man doch gestehen,

Daß seine Mien' ihm dieses schnelle Glück

Vermuthlich nicht verschafft. Der Herr Amphibolis

War, in der That, bey weitem kein Narciß,

Und auch der Jüngste nicht – ein Seemann, stark von Knochen,

Rasch wie sein Element, im Reden kurz und rund,

Plump von Manier, und gar nicht ausgestochen,

Großnasicht überdies, und größer noch von Mund.

Die Damen schütteln ihre Köpfe? –

Geduld! ich sag' es ja, schön war er nicht;

Allein, er hatte was, das in die Augen sticht,

Er hatte was, womit ein Carnevals-Gesicht

Die Schönsten – schüttelt nur die Köpfe! –

Die Schönsten unter euch dem Amor selbst entführt,

Das manchen Höcker deckt, und eckelhafte Kröpfe

Mit Grazien und Liebes-Göttern ziert;

Kurz, das, wodurch ein Gnom oft zum Adonis wird,

Er hatte – Geld, und was dazu gehöret,

Juwelen, Perlen, Diamant,

Smaragd, Rubin, als hätt' in seiner Hand

Sich, was er nur berührt, in Edelstein verkehret.


Mit solchen Waffen hielt der Herr Amphibolis[34]

Sich eines schnellen Siegs gewiß.

Er überströmt mit einem Perlen-Regen

Das ganze Haus, und kauft sich jedes Herz,

Sie wallen ihm und seinem Gold entgegen:

Nur Procris kann er nicht bewegen;

Nur Procris bleibt, zu ihres Mädchens Schmerz,

Beym Glanze Persischer Guineen

So kalt, als wie bey seinem plumpen Flehen.


Hans La Fontain! Nun sagt mir noch einmal,

Der Cassen-Schlüssel sey der Schlüssel zu den Herzen!

Meynt ihr, es gelte nur, ohn' Ausnahm, ohne Wahl,

Das schöne Volk so häßlich anzuschwärzen?

Von Wäscher-Nymphen, gut! da geb' ich Alles zu,

Die sind in Rom, und selbst in Cambalu,

So feil als in Paris; auch dieses geb' ich zu,

Daß Damen selbst, zumal die Spielerinnen,

Ihr Herz an Zahlungs Statt sich lassen abgewinnen;

Daß manche, die von Berg und Thal sich schreibt,

Wenn alte Richards ihre Bitten

In baarem Geld ihr vor die Füße schütten,

Aus Ekel zwar sich eine Weile sträubt,

Doch selten unerbittlich bleibt;

Auch das gesteh ich ein – Allein so dreiste singen,

Die Beste sey mit Gold zur Uebergab zu zwingen,

Das nenn' ich Felonie, das schmäht

Zugleich der Schönen Ruhm und Amors Majestät.
[35]

Die Probe kann für tausend andre dienen,

Die hier die Dame Procris gab.

Der Meer-Mann liest in ihren stolzen Mienen,

Daß einem Mann, wie er, hier keine Myrthen grünen,

Weil's nun nicht anders ist, so sucht er seinen Stab,

Packt seinen Kram von Perlen und Rubinen

Hübsch wieder ein, und führt sich ab.


Auch war sonst nichts zu thun. Er geht, in seinem Herzen

Vergnügter als im trüben Blick;

Allein, von Freuden und von Scherzen

Umflattert, kommt er bald als Seladon zurück.


Herr Heger, malen Sie zu dieser Phyllis Füßen

Uns einen hübschen Knaben hin;

Ein rund Gesicht, wie einer Schäferinn,

Hellbraunes Haar, ein glattes Kinn,

Ein schwarzes Aug', und einen Mund zum Küssen;

Schlank von Gestalt, geschmeidig, zierlich,

In allen Wendungen so reizend als natürlich,

Wie Zephyr leicht, und schmeichelhaft und dreist,

Wie ein Abbé – kurz, schön als wie gegossen,

Und um und um von diesem Reiz umflossen,

Von diesem Glanz, von diesem Jugend-Geist,

Den Winkelmann uns am Apollo preist –

Wie schön er ist! Man muß ihn gerne sehen!

Die Augen zu, ihr Mädchen lauft davon!

Hier ist Gefahr – Ihr lächelt, und bleibt stehen?[36]

Wohlan so guckt – es ist mein Seladon.


Der Weise nur, wenn wir der Stoa glauben,

Ist schön und voller Reiz, nur er ist groß und frey,

Hochedel, Hochgelehrt, ein Crösus noch dabey,

Und ein Monarch, so gut als Uzim Oschantey.

Doch bey den Stoikern in Hauben

Ist dieser Lehrsatz Ketzerey.

Was Crantor und Chrysipp von ihrem Weisen pralen,

Das legen sie dem Schönen bey.

Sey schön, ich meyne schön zum malen,

Ein Seladon, und, auf mein Ehren-Wort,

Sie schicken dir zu lieb den Zoroaster fort;

Du machst beym ersten Blick die Herzen unterthänig,

Bist weise, tapfer, edel, ja, wie dort

Astolfens Zwerg beym Ariost, ein König,

Wo nicht der Könige, doch oft der Königinnen –

Sie läugnen's zwar; allein das irrt mich wenig:

Was Herz und Mund verheelt, läßt oft ihr Aug' entrinnen.


Mein Seladon gefällt aufs erstemal;

Beym zweyten pocht schon was im reizenden Oval,

Das sittsam, um und um verdecket,

Sich in gewebte Luft vor unserm Blick verstecket;

Beym dritten wird sie oft zerstreut,

Und Seufzerchen, wie Liebes-Götter,

Entschlüpfen ihr, vielleicht aus Bangigkeit,[37]

Denn, (wie die Chronik sagt) war's um die Rosen-Zeit,

Und selben Tag sehr schwüles Wetter;

Am vierten wundert Procris sich,

Daß sie nicht Anfangs gleich bemerket,

Wie sehr er ihrem Manne glich;

Am fünften wird ihr Ohr noch mehr hierinn bestärket,

Indem er seine Liebes-Pein

Zu ihren Füßen klagt; nichts kann so rührend tönen,

Und nichts dem Ton so ähnlich seyn,

Worinn einst Cephalus sein Sehnen

Ihr vorgegirrt – Am sechsten – »Wie?«

(Ruft hier ein Geck, der kommen, sehn und siegen

Vom Angola gelernt:) Am sechsten? Welche Lügen!

»Ein Masulhim braucht nicht so viele Müh!

Parbleu! Mein Herr, noch nie hat eine Schöne,

Die ich mit meiner Gunst beehrt,

So viele Stunden sich gewehrt,

Als Procris Tage! – Selbst die feyrliche Climene,

Die so mit ihrer Tugend rauscht,

Ward jüngst im Schlaf von mir belauscht,

Und hat vielleicht, bey dämmernden Gardinen,

Mit ihrem Sylphen mich vertauscht:

Mit Amarinten, mit Nerinen,

Ward der Roman in einer Sommer-Nacht

Sehr feyrlich angestimmt, und bis zum Schluß gebracht;

Die stolze Celia, die kleine Rosemunde –«[38]

Gut, gut, Herr Geck! Wir kennen eure Macht;

So gar die weise Kunigunde

Ergäbe sich euch in der ersten Stunde;

Doch eine Procris wird so schnell nicht zahm gemacht;

Und kurz, es brach nach sieben vollen Tagen

Die Nacht herein, und diese Nacht vergieng

Schon halb, als Seladon sich bebend unterfieng,

Den ersten Kuß auf ihren Mund zu wagen.


Und, welch ein Kuß, indem sie sich bemüht,

Ihm zu entfliehn; und doch ihm nicht entflieht!

Wie blinkt ihr Aug'! Wie süße Seufzer regen,

Indem zugleich vor holder Schaam und Lust

Dies Aug' sich schließt, die halbenthüllte Brust,

Und hauchen ihm den Geist der Lieb' entgegen! –

Ihr Götter! – Seladon? – Was kann

Solch eine Wollust – Wie? Du fährst ergrimmt zurücke? –

Wie glücklich, ruft er, war' in diesem Augenblicke

Ein jeder Andrer – als dein Mann!


Kein Donner-Keil, der an der Gattinn Seiten

Den besten Jüngling rührt und schnell zu Asche macht,

Sie leben läßt – sie, die nun jede Nacht,

Sonst nur gestört von seinen Zärtlichkeiten,

Mit seinem Schatten-Bild und ihrem Schmerz durchwacht;

Kein Wolken-Bruch, der wild und ungehemmt

Ein sichres Thal schnellrauschend überschwemmt;

Kein Stoß, der Rheas Riesen-Glieder schüttelt,[39]

Kein Sturm, der Meer und Luft, Olymp und Acheron

Im Wirbel faßt und durch einander rüttelt,

Ist schrecklicher als unser Seladon,

Im Augenblick, da Seladon verschwindet,

Und Procris ihren Mann in ihrem Buhler findet.


Was, meynt ihr, kann ein Weib von zärtlichem Gemüth,

Die unverhofft sich so gefangen sieht,

Was kann sie thun? Was kann sie sagen? –

Nichts sagte sie, schwoll gleich von Grimm

Und stolzer Schaam ihr Herz, indem sein Ungestüm

Mit einer Fluth von ungerechten Klagen

Eie übergießt. Was hälfen Gegen-Klagen?

So sehr sie auch durch eine Hinterlist,

Die Zärtlichkeit und Treu beleidigt,

Dazu berechtigt ist.

Ihr Frauen, die ihr euch ein wenig schuldig wißt,

Glaubt mir, daß Schweigen oft weit sicherer vertheidigt,

Als Alles, was Fleury zu sagen fähig ist.

Die schöne Lobred' anzuhören,

Die er ihr hält, das würde, wie ihr däucht,

Ihm wenig Trost, ihr wenig Lust gewähren;

Sie nimmt daher den kürzern Weg – sie weicht,

Schießt einen Blick, der alle Liebes-Götter

Aus ihren schönen Augen scheucht,

So einen Blick, als ob ein Donnerwetter

Ihm in die Seele schlüg', auf Cephaln, und entfleucht.


Kaum ist sie fort, und nirgends zu erfragen,[40]

So wechselt Cephalus die Ton-Art seiner Klagen,

Und Alles wird nunmehr in anderm Licht gesehn.

Er sieht sein Weibchen nun nicht ungetreu, nur schön,

Nur liebenswerth; und unter jenen Bildern,

Die sein verlornes Glück ihm schildern,

Den Schatten mancher süßen Nacht,

Worinn sie ihn den Göttern gleich gemacht,

Vergäß er bald, daß diese holden Augen

Dem schönen Seladon gelacht,

Und einen fremden Mund verwegen gnug gemacht,

Aus ihrem Mund Ambrosia zu saugen.

Doch wie? Zu rascher Cephalus!

Worinn bestand denn ihr Verbrechen?

Zürnst du auf deinen eignen Kuß,

Und willst an ihr und an dir selber rächen,

Was du als Seladon gethan?

Du sprichst, sie sah mich doch für einen Andern an –

Wie? Ist dir denn die Macht der Sympathie verborgen?

Grausamer, frage jenen Morgen,

Da dir, sammt ihrem Rosen-Haar,

Das den Betrug verrieth, Aurora Procris war!

Dort war's die Phantasie, vielleicht auch die Begierde,

Die sie in deinem Wahn mit Procris Reizen zierte:

Hier war es mehr, als Wahn und Aehnlichkeit,

Du selbst war'st Seladon. Du suchtest sie zu trügen,

Nicht Procris sich; ein großer Unterscheid![41]

Und doch gelang dir's nur, ihr Auge zu belügen,

Nicht ihre Zärtlichkeit;

Selbst unter den geborgten Zügen

Entdeckte dich ihr Herz; ihr Auge wandte sich

Von Seladon, ihr Arm umfaßte dich.

Betrogner Cephalus! Was hat sie dann verbrochen?

Die Allgewalt der Sympathie

Zog sie in deinen Arm, und du bestraftest sie?

Doch, du entbehrst sie nun; und Procris ist gerochen!


So denkt er itzt, wenn Einsamkeit und Nacht

Der Schönen Flucht ihm unerträglich macht.

Er zehrt sich ab mit Sehnsucht und Verlangen,

Sucht sie des Tags, wohin sein Fuß ihn trägt,

Und wenn er Nachts an einen Baum sich legt,

Glaubt er im Traume sie zu finden, zu umfangen,

Und rast wie Roland schier, wenn er erwacht,

Und ihm der Tag den Irrthum sichtbar macht.


Man sagt, wer immer sucht, findt allezeit am Ende

Dies oder das, und oft noch mehr,

Als er gesucht. Indem er weit umher

Das Land durchstreicht, läuft ihm von ungefähr

Die schönste Dryas in die Hände.


Es wallt ihr langes Haar, so schwarz wie Vogelbeer,

Um Schultern, die den Schnee beschämen,

Und was ihr Kleid, gebläht vom losen West[42]

Und bis ans Kniee geschürzt, dem Jüngling sehen läßt,

Ist Alles, was man braucht, um Herzen von Asbest

Die Unverbrennlichkeit zu nehmen.

Selbst Cephalus, den seit der Procris Flucht

Nichts mehr gerührt, fühlt diesmal sich versucht;

Die Sympathie spielt ihre Spiele wieder:

Doch wehrt er sich, glitsch so geschwind er kann

Vom Hals zum Knie, vom Knie zum Fersen nieder,

Schnappt erst nach Luft, und redt sodann

Mit halbgeschloss'nem Aug' die Schöne stotternd an:


O du, wie nenn' ich dich, wo nicht Dian,

Doch wahrlich ihrer Schwestern eine,

Denn so verkündigt dich die göttliche Gestalt;

Entdecke mir den Aufenthalt

Des besten Weibs, um deren Flucht ich weine:

Vielleicht daß sie in irgend einem Haine

Zu deinen Schwestern sich gesellt?

O nenne mir, bey dem, was in der Welt

Dein Liebstes ist, den Ort, der sie mir vorenthält;

So soll, von Marmor aufgestellt,

Dein schönes Bild mit Blumen-Kränzen

Alltäglich frisch bekränzt, in meinem Garten glänzen.


So sagt er, wirft sich vor ihr hin,

Und will ihr weißes Knie umfassen;

Allein die schöne Jägerinn

Kann aus Bescheidenheit es nicht geschehen lassen,[43]

Sie schlüpft ihm lächelnd aus der Hand,

Winkt ihn zurück, und spricht: Mein jungferlicher Stand

Erlaubt mir nicht, die Ehre anzunehmen,

Die deine Gunst mir zugedacht:

Doch höre auf, um Procris dich zu grämen!

Ich bin erfreut, daß mich der Zufall fähig macht,

Dir einen Dienst zu thun. Zwar sollt' ich Anstand nehmen;

Sie steht in unserm Schutz; sie hat auf Lebens-Zeit

Der keuschen Göttinn sich geweiht,

Und schwur, auf ewig dich zu meiden.

Das mag sie auch! Genug, mich rührt dein Leiden;

Ihr andern habt, ich weiß nicht was, das euch

Gefährlich macht, ich will es nur gestehen;

Mir schmilzt das Herz von euern Thränen gleich;

Kurz, folge mir, du sollst sie sehen.


Mein Cephalus fällt ganz entzückt

Zum andernmal zu ihren Füßen,

Vergißt aus Dankbarkeit schon wieder, was sich schickt,

Und drückt ihr Knie mit feuervollen Küssen.

Doch schnell besinnt er sich's – der Thor! –

Indem die reizende Rosette

(So hieß man sie im Nymphen-Chor)

Es selbst beynah vergessen hätte.

Er bebt, zieht Mund und Arm zurück,

Und sucht beschämt in ihrem Blick

Den Zorn, den er allein dadurch verdient,[44]

Weil er zu viel und auch zu wenig sich erkühnt.

Du zauderst? ruft ihm, da er zittert,

Und unentschlossen scheint, halblächelnd, halberbittert,

Rosette zu: steh auf und folge mir;

Die Schöne, die du suchst, ist nicht sehr weit von hier.


Er dankt, und folgt durch tausend krumme Pfade

Der schalkhaftlächelnden Dryade.

Ihm klopft sein Herz zugleich vor Angst und Lust.

Wie freut er sich, an seine treue Brust

Das lang entbehrte Weib zu drücken!

Wie schmiegt er sich vor ihren strengen Blicken

Im Geiste schon! Mit welcher Zärtlichkeit

Will er auf seinen Knien sie um Vergebung flehen!

Er schwört ihr zu, nicht eher aufzustehen,

Bis der Begnadigung, womit sie ihn beglückt,

Ihr süßer Mund das Siegel aufgedrückt.


Mit diesen zärtlichen Gedanken

Langt Cephalus und seine Führerinn

An einer Grotte an, um die des Weinstocks Ranken,

Wald-Lilien, und düftender Schasmin

Ein leichtgewebtes Gitter ziehn.

Hier schleiche (lispelt ihm Rosette)

Dich still hinein; du findest sie, ich wette,

Vom Bad erfrischt, auf ihrem Ruhe-Bette,

In einem Augenblick vielleicht,

Worinn sie selbst dich hergewünschet hätte,[45]

Und wo man insgemein uns mit Erfolg beschleicht.


Mein Held gehorcht, und findet, wie Rosette

Ihm vorgesagt, Frau Procris, auf dem Bette,

In süßem Schlaf – Doch, Götter! welch Gesicht!

Hat ihn das Aug' der gräßlichen Medusen

Versteinernd angeblitzt? Wie? Er bewegt sich nicht?

Er steht erstarrt? Was zeigt ihm denn das Licht,

Das hier die Nacht zu holder Dämmrung bricht?

Was siehst du, Cephalus? – O! schreckliches Gesicht!

Ein Jüngling ruht an ihrem Busen.


Wie wohl ein solcher Anblick thut,

Will ich die Männer rathen lassen.

Nicht Jeder weiß, wie Dandin sich zu fassen.

Der arme Mann! Ihm stockt sein Blut,

Ihm starrt das Haar; er will die Arme regen,

Will schreyn, und kann, vor Schrecken und vor Wuth,

Die Arme nicht, die Zunge nicht bewegen.

In dieser Noth thut ihm sein Aug' allein,

Nur noch sein Aug', wiewohl zu größrer Pein,

Den letzten Dienst: Er starrt mit Schrecken

Den Jüngling an, und glaubt – o Zufall! o Natur!

Ein andres Selbst, doch ein geborgtes nur,

In diesem Jüngling zu entdecken.


Er irrte nicht; es war der Seladon,

Von dem er jüngst Gestalt und Reize borgte;[46]

Der schönste Hirt, schön wie Endymion,

Der, da mein Cephalus nichts weniger besorgte,

Frau Procris (die er sich seit ihrem Nymphen-Stand

Zur Herzens-Königinn erkohren)

Zu seinem Sieg schon vorbereitet fand.

Betrogner! Durch dich selbst, durch dich gehst du verloren!

Verfluchte Eifersucht! Verfluchter Talisman!

Was für ein Dämon trieb dich an,

In Seladons Gestalt durch tausend Zärtlichkeiten

Dein ehrlich Weib zur Untreu zu verleiten?

Wer zweifelt wohl, du albernes Gesicht,

Daß Glas und Unschuld leicht zerbricht?

Bey beiden braucht es keiner Proben;

Sie werden nur, weil sie zerbrechlich sind,

Mit größrer Sorgfalt aufgehoben.

Frau Procris war ein gutes Kind,

Die Unschuld selbst; und wär es auch geblieben;

Du selbst verriethest sie dem wahren Seladon;

Du lehrtest sie in Andern dich zu lieben;

Sie lernte gut, du siehst die Frucht davon!


So lispelt itzt das strafende Gewissen

Dem Selbstbetrognen zu; doch (wie es immer geht)

Kömmt nach der That die Reu auch hier zu spät.

Was soll er thun? Sie ruh'n von ihren Küssen

So reizend aus! Es wäre Grausamkeit,

Den süßen Schlaf der Glücklichen zu stören.[47]

Soll er die Billigkeit, soll er die Rache hören?

Es kostet Müh und innerlichen Streit;

Doch siegt zuletzt die Zärtlichkeit,

Und schmelzt den Grimm in wehmuthsvolle Zähren.

Fast athemlos wirft er den letzten Blick

Auf das geliebte Weib und sein verlornes Glück,

Sieht sie – ihr Götter! welch ein Blick!

In fremdem Arm so sanft, so lieblich schlafen,

Sieht's, ächzet laut, und flieht zurück,

Sein Unglück an sich selbst zu strafen.


Nicht ferne von dem Ort, aus dem er wüthend lief,

Verbreitet sich, umkränzt mit Myrthen-Hecken,

Ein kleiner See, hell wie Krystall, nicht tief,

Doch tief genug, die Nymphen zu verstecken,

Die oft bey lauer Abend-Luft,

Die Dämmerung zu jungferlichen Scherzen,

Und, wenn sie sicher sind, zum frischen Bade ruft.

Hier sucht mein Cephalus das Ende seiner Schmerzen

In einem feuchten Tod. Verzweifelnd, ohne Sinn,

Sieht er zum letztenmal noch auf die Grotte hin,

Drückt dann die Augen zu, und stürzt sich in die Wellen.


Wie wunderbar in seinen Fällen

Das Schicksal ist! Der Kampf des Tages und der Nacht

War noch nicht lang, als dies geschah, geendet;

Aurora, die bereits den frühen Lauf vollbracht,

Erblickt, da sie den Wagen wendet,[48]

Den kleinen See, und findet ihn bequem;

Sie denkt, ein kleines Bad wär' hier ganz angenehm,

Steigt ab, entladet sich von Schleyer, Rock und Mieder,

Und überläßt die rosenfarben Glieder

Der buhlerischen Fluth – Das dachtest du wohl nicht,

Du guter Cephalus, daß deiner ird'schen Bürde

Aurora selbst die letzte Liebes-Pflicht

In ihrem Arm erstatten würde?

Sein Fall erschreckt ihr lauschend Ohr,

Sie schwingt sich aus der Fluth empor,

Sieht, und erkennt, indem sie siehet,

Den alten Freund, der schon den letzten Athem ziehet.

Die dringende Gefahr macht, daß sie itzt vergißt,

Wie wenig er verdient, daß sie so gütig ist.

Sie schwimmt hinzu, trägt ihn mit eignen Armen

In eine Grotte hin, wo ihm das weiche Moos

Zum Bette wird, setzt ihn auf ihren Schooß,

Und läßt sein kaltes Herz an ihrer Brust erwarmen.

Das Mittel hilft! Sie fühlet bald,

Daß Etwas noch in seinen Adern wallt,

Sieht seine Wangen sich mit neuen Rosen färben,

Und küßt ihn bald ins Leben ganz zurück.[49]

Zum Malen wäre das ein hübscher Augenblick,

Hier könnt' ein Vanloo Ruhm erwerben.

Er öffnet halb den neubelebten Blick,

Erkennt Auror, und sinkt an ihre Brust zurück,

Nicht vor Verzweiflung mehr, vor Dankbarkeit zu sterben.


Der Stoff zu dieser Erzählung ist aus der Bibel der Griechen genommen. Ovidius hat ihn zuerst bearbeitet; nach ihm Ariost; nach diesem la Fontaine; und nach ihnen Wieland. Die zween ersten haben diese Geschichte rührend erzählt; die zween letzten komisch.

Lassen Sie sich, meine schönen Damen, an die lieblichste Quelle des Thessalischen Tempe unter Rosen auf Bluhmen nieder, und hören jeden von diesen Genieen der Phantasie diese Geschichte erzählen, und winden indessen einen Rosenkranz, Ihren Liebling damit zu bekränzen.

Ovidius läßt diese Geschichte den Cephalus selbst3 einigen Helden erzählen.

Procris, fängt dieser zu erzählen an, war die Schwester der berühmten Orithyia; die Begebenheiten dieser schönen Dame sind euch vielleicht bekannt. Procris war würdiger, wenn man beider Sitten und Gestalt vergleicht, entführt[50] zu werden. Erechtheus, ihr Vater, vereinigte mich mit ihr, mit ihr vereinigte mich die Liebe. Man nannte mich glücklich, und ich war es; vielleicht wär ich es noch, aber die Götter wollten es nicht.

Wir lebten im zweyten Monat unsrer Ehe, als ich eines Tages früh, da ich den Hirschen nachstellte, von dem Gipfel des immer blühnden Hymetus Aurora erblickte; vor ihrem Glanze verschwand die Dämmerung, wider meinen Willen schwebte sie mit mir davon.

Die Göttinn erlaube mir, die Wahrheit zu sagen: obgleich ihr Rosenmund verführerisch anzusehen ist, und sie die Gränzen der Nacht und des Lichts beherrscht, und Nektar sie nährt, so liebt' ich doch meine Procris. Procris war im Herzen, und Procris mir immer im Munde. Voll Zärtlichkeit beschrieb ich ihr unsre Liebe, das Entzücken der ersten und jüngsten Umarmung.

Mit Verdruß hörte mich die Göttinn an. Undankbarer! sagte sie, hemme deine Klagen: habe deine Procris: wenn ich in die Zukunft sehen kann, so wünschest du bald, sie nie gesehen zu haben: – und zornig sandte sie mich ihr wieder zurück.

Indem ich zurückkehre, und überdenke, was die Göttinn mir sagte, überraschte mich die Furcht, ob meine Gemahlinn die Rechte der Ehe auch wohl beobachtet haben mögte. Schönheit und Jugend konnten sie verleitet haben,[51] mir untreu zu seyn, die Unschuld ihrer Sitten aber hieß mich das Gegentheil glauben.

Allein ich war doch abwesend: diese, von der ich zurückkehrte, ein Beyspiel, wie leicht sich das weibliche Herz entflammt: wir fürchten Alles, wenn wir lieben. Ich beschließe, die Unschuld ihres Herzens mit Geschenken anzugreifen, und ihre Treue auf die Probe zu stellen. Aurora begünstigte diese Furcht und verändert, ich empfand es, meine Gestalt. Unkennbar komm' ich nach Athen, und tret' in mein Haus. Es trauerte über die Entführung seines Herrn; Alles zeugte darinnen von der Unschuld meiner Geliebten.

Nach tausend Listen gelang es mir kaum, vor die Tochter des Erechtheus zu kommen. Ich verstummte, als ich sie erblickte, und stand beynahe von meinem Vorhaben ab. Kaum konnt' ich mich enthalten, ihr die Wahrheit zu gestehen, und mit den zärtlichsten Küssen, wie ich sollte, an ihren Busen zu fliegen4.

Sie war traurig, aber in ihrer Traurigkeit war Keine schöner, als sie. Sie brannte vor Verlangen nach ihrem entrissenen Gemahle. Ihr könnt' auf ihre Reize schließen, da selbst der Schmerz sie so bezaubernd machte. Wie oft widerstand ihre Tugend meinen Verführungen! Wie oft sagte sie: Für einen Einzigen bewahr' ich meine Liebe,[52] er mag seyn, wo er will; ihm allein meine Freuden. Welcher vernünftige Mann wurde die Treue durch diese Erfahrung nicht bewährt genug gefunden haben? Noch bin ich nicht zufrieden, und streite wider mich selbst. Ich häufe Versprechen auf Versprechen, und vermehre die Geschenke. Endlich trieb ich sie bis zur Verwirrung –5

»Treulose! – rief ich aus, und entblöße die Brust – ich bin dein Gemahl und nicht dein Liebhaber; ich selbst bin deiner Schande Zeuge.

Sie antwortete nichts. Von heimlicher Schaam überwunden floh sie das Haus, und den ungerechten Gemahl. Von mir beleidigt, war ihr das ganze männliche Geschlecht verhaßt. Sie schweifte auf den Gebirgen umher, und wurde eine Gespielinn der Diana.

So bald sie mich verlassen hatte, drang ein heftiger Feuer mir bis in die Gebeine. Ich bat um Vergebung, und gestand, daß ich strafbar sey –«

Procris wird von der Reue des schönen Cephalus gerührt, und nimmt ihn nicht allein wieder zu Gnaden an, sondern macht ihm auch noch ein Geschenk mit einem Jagdhunde, dem nichts entfliehen kann; und einem Wurfpfeile, der immer trifft, und von sich selbst wieder zurück fliegt. Beides hatte sie von der Diana erhalten. Darauf erzählt[53] Cephalus eine Probe, wie schnell dieser Hund habe laufen können, und wie die Götter, damit er immer bewundert werde, ihn in seinem schnellsten Lauf in Marmor verwandelt haben, und macht eine Schilderung der Glückseligkeit bey seiner Procris.

»Noch süß, ruft er aus, ist die Erinnerung jener seligen Zeit! glücklich war ich durch sie, glücklich war sie durch mich; ich sorgte für sie, und sie für mich; durch Liebe hatte sich eins in das andre verloren. Sie würde das Bett des Zevs meiner Liebe nicht vorgezogen haben, und mich hätte Venus selbst nicht verführen können. –«

Am Morgen pflegt' er mit seinem Pfeil' auf die Jagd zu gehn, und wenn er sich müde gejagt, sich in's Gebüsch eines Hügels zu setzen, und der jüngsten Tochter des Eurus ein Lied zu singen, daß sie um seinen Busen flattern möge, das Feuer, das ihn verzehre, zu kühlen. Jemand, der dies hörte, hinterbrachte seiner Procris, daß er mit einer Nymphe in diesem Hain verliebte Zusammenkünfte habe, und ihr untreu sey. Sie will es nicht eher glauben, als bis sie es selbst gesehen. Cephalus geht nach seiner Gewohnheit wieder auf die Jagd, ruht eben, wie vorher, wieder unter den Schatten des Hügels aus, und ruft dem kühlen Lüftchen, daß es seinen Busen erquicke. Indem hört er hinter sich ein Geräusch; glaubt, es komme von einem wilden Thiere; wirft seinen Pfeil darnach; erblickt seine Procris, und das Blut quillt aus ihrer Brust[54] hervor. Er fliegt zu ihr hin. Sie ringt mit dem Tode. »Bey unsrer Liebe – flehte sie noch, bey den obern und untern Göttern beschwör' ich dich, diesem Mädchen nicht zu gestatten, nach meinem Tode meine Stelle in unserm Bett' einzunehmen –« »Ich erklärt' ihr ihren Irrthum, allein was half es? Das Leben verfloß mit ihrem Blute. Ihre letzten Blicke waren auf mich geheftet; in meinen Mund athmete sie ihre Seele aus, und starb mit heiterm Gesichte. –«

Ariost hat aus dieser Geschichte eine Episode in seinen Orlando furioso gemacht, den Cephalus in einen Ritter, und Aurora in eine Zauberinn verwandelt – kurz; daraus einen Gesang in sein Heldengedicht geschaffen, wie Homer aus den Gerüchten vom Trojanischen Krieg' eine Iliade.

Ich kann hier, da ich kein ganzes Buch über eine Erzählung schreiben will, nur einen Auszug aus diesem Gesange machen.

»Ein alter Zauberer vermählte sich mit einer jungen schönen Dame, und zeugte eine Tochter mit ihr. Diese versprach schon in ihrer Kindheit, dereinst so schön, wie Danae zu werden. Wie er dies sah, so setzte er sich vor, sie so zu erziehen, daß er sie ihrem künftigen Gemahl in aller Unschuld in die Arme liefern könne. Er befahl deßwegen seinen Geistern, den schönsten Pallast in ein abgelegenes Tempe zu bauen, und diesen mit den Bildsäulen der unschuldigsten Damen, die auf dieser Erde gelebt hatten,[55] auszuschmücken, und weil deren Anzahl zu gering war, auch noch diejenigen abzubilden, die in den künftigen Jahrhunderten erscheinen würden.«

Hier ließ er nun seine Tochter von alten wohlgesitteten Matronen erziehen, und in allen weiblichen Künsten unterrichten. Wie sie dem Alten mannbar zu seyn schien, suchte er den schönsten Jüngling, der da mals lebte, zu ihrem Gemahl aus, zauberte ihn in diese Einsamkeit, und übergab ihm seine Tochter, samt dem Pallast und dem Tempe.

»Sie war so schön und so gesittet, daß kein Wunsch mehr bey ihr statt hatte. Sie konnte würken, sticken und nähen, besser als Pallas. Ihr Gang, der Ton ihrer Stimme schien etwas Himmlisches zu seyn, das nicht auf die Erde gehörte; und die Künste und Wissenschaften verstand sie eben so gut, als ihr Vater. Mit großem Verstand und nicht geringerer Schönheit (die so gar die Steine in sie würde verliebt gemacht haben) war eine Liebe, eine Süßigkeit verbunden, die mir noch bey der Erinnerung das Herz durchdringt. Ihr größtes Vergnügen, ihr Liebstes war, bey mir zu seyn, wo ich stund und gieng.« sagt ihr Gemahl noch nach 20 Jahren.


Ella era bella, e constumata tanto,

Che più desiderar non si potea.

Di bei trapunti, e di ricami, quanto

Mai ne sapesse Pallade, sapea.

Vedila andare, odine il suono, e 'l canto,[56]

Celeste, e non mortal cosa parea;

E in modo all' arti liberali attese,

Che quanto il padre, o poco men, n' intese.


Con grande ingegno, e non minor bellezza

(Che fatta l' avria amabil fin' ai sassi)

Era giunto un' amore, una dolcezza,

Che par ch' a rimembrarne il cor mi passi.

Non avea più piacer, nè più vaghezza,

Che d' esser meco, ov' io mi stessi, o andassi.


Fünf Jahre darauf starb ihr Vater, und eine vornehme, reizende und schöne Dame, Melissa, verliebte sich in ihn auf das Heftigste. Diese verstund so viel von der Zauberey, als nur irgend eine Zauberinn wissen konnte; sie machte die Nacht helle, dunkel den Tag, die Sonne stille stehen, und die Erde blühen. Aber doch konnte sie ihn nicht dahin bringen, daß er ihren Flammen Nahrung gegeben, daß er nur einen Funken seiner ersten Liebe entzogen hätte; endlich verführte sie ihn doch noch so weit, daß sie die Begierde in ihm erregte, den Versuch zu machen, ob ihm seine Gemahlinn auch so treu bleiben würde.

Darauf gab sie ihm einen bezauberten Becher, aus welchem der, welcher eine treue Gemahlinn hatte, trinken konnte, dem aber alles auf den Busen floß, welchem dieses Glück nicht beschieden war. Er machte den Versuch damit, und seine Gemahlinn hielt die Probe aus. Nun mußt' er sich einige Monate von ihr entfernen, die Gestalt[57] eines jungen, schönen und reichen Ritters an sich nehmen, der bey einer gewissen Gelegenheit sich in sie verliebt hatte, aber immer abschlägige Antworten bekam, und zu ihr zurückkehren.

Er wußte alle Gelegenheiten seines Hauses, und konnte sich also leicht in ihr Zimmer schleichen; Melissa begleitete ihn, als ein Bedienter. Er fand seine Gemahlinn ganz allein, schüttete seine Seufzer aus, und zugleich Rubinen, Diamanten und Smaragden, und versprach ihr noch ungleich größere Geschenke. Er sagte ihr, um sie zu bewegen, daß Niemand es sehen und was davon erfahren könne; daß er schon lange ihr Liebhaber gewesen sey, und daß seine Standhaftigkeit einiges Mitleiden verdiene.

»Im Anfang wurde sie nicht wenig darüber bestürzt, sie wurde roth, und wollte nichts hören; allein wie sie die schönen Edelsteine wie Feuer glänzen sah, so wurde das harte Herz erweicht; sie antwortete leise und kurz: vielleicht würde sie sein Verlangen erfüllen, wenn sie versichert würde, daß es Niemand wieder erführe.

Diese Antwort war ein vergifteter Pfeil, den ich mir die Seele durchbohren fühlte. Es gieng mir eiskalt durch die Gebeine und Adern; die Stimme blieb im Schlunde hängen. Melissa hob den Schleyer der Zaubereyen von mir, und meine vorige Gestalt war wieder zu sehen. Denke, was für eine Farbe diese an sich nahm,[58] die in einem so großen Verbrechen sich von mir ergreifen sah.

Wir hatten beide die Farbe des Todes, blieben beide stumm und mit niedergeschlagenen Augen stehen. Kaum konnt' ich der Zunge die Stärke geben, und der Stimme mich bemächtigen, daß ich rief: O Gemahlinn! also hättest du mich verrathen, wenn dir meine Ehre Jemand hätte abkaufen wollen? – Sie konnte mir keine andre Antwort geben, als mit Thränen ihre Wangen befeuchten.

Schaam und Zorn, sich so geschändet zu sehen, stieg endlich bey ihr zu einem grausamen Haß. Eie ergriff sogleich den Entschluß, mich zu fliehen, und den andern Morgen befand sie sich schon bey dem Ritter, dessen Gestalt ich an mich genommen. Er nahm sie mit Freuden auf; und sie ließ mir sagen, ich sollte nicht hoffen, sie jemals wieder zu besitzen, und von ihr geliebt zu werden.« –

La Fontaine, der bloß dem Ariost nacherzählt, hat dieses Genie mit seinem Esprit und seiner Naivität so sehr verdünnt, in seinem bezauberten Becher, daß diese Erzählung alles Ueberraschende bey ihm verloren, und – ich sag' es mit Schmerzen von dem Arzte der Verdrüßlichkeiten meines Lebens – sehr langweilig dadurch geworden ist. Das Genie des Ariosto liegt bey ihm in[59] der zierlichsten Einfassung, aber diese bedeckt es so sehr, daß man seine stärksten Strahlen davor nicht sehen kann. Er ist unausstehlich weitschweifig und langweilig, wenn man ihn nach dem Italiener hört. Selbst der stolze und oft zum Aergerniß gerechte Boileau würde hier verzweifeln, ihn auf Kosten des Schöpfers Ariosto zu erheben, wie er ihn beym Giocondo in vielen Stücken als Schmeichler erhoben hat.

Um meinen Damen und jungen Dichtern das Vergnügen der Vergleichung zu verschönern, will ich die Beschreibung des Moments in dieser Geschichte, wobey sich das Genie in seiner höchsten Stärke zeigen konnte, aus der Erzählung dieser Götterkinder herausziehen.

Dieses Moment ist ohne Zweifel, wo sich der Liebhaber seine Gemahlinn als Mann zu erkennen giebt.


Ovidius.


Muneraque augendo, tandem dubitare coegi.

Exclamo: mala! – pectora detego – lectus adulter

Verus eram coniunx, me, perfida, teste teneris.


Ich vermehre die Geschenke, und zwang sie endlich zu zweifeln –

Treulose! – ruf' ich aus, und gebe mich zu erkennen – dein Mann war ich, und nicht dein Liebhaber; ich selbst bin deiner Schande Zeuge.


Ariosto.6


Turbossi nel principio ella nun poco,[60]

Divenne rossa, ed ascoltar non volle;

Ma il veder fiammeggiar poi come foco

Le belle gemme, il duro cor fè molle;

E con parlar rispose breve, e fioco

Quel, che la vita a rimembrar mi tolle;

Che mi compiaceria, quando credesse,

Ch' altro persona mai nol risapesse.


Fù tal risposta un venenato telo,

Di che mene sentit l' alma trasissa.

Per l'ossa andommi, e per le vene un gelo;

Nelle fauci restò la voce fissa.

Levando allora del suo incanto il velo

Nella mia forma mi tornò Melissa.

Pensa di che color dovesse farsi,

Che in tanto error da me trovarsi.


Divenimmo ambi di color di morte,

Muti ambi, ambi restiam con gli occhi bassi.

Potei la lingua a pena aver si forte,

E tanta voce a pena, ch'io gridassi:

Me tradiresti dunque tu Consorte,

Quando tu avessi, chi'l mi' onor comprassi?

Altra risposta darmi ella non puote,

Che de rigar di lagrime le gote.


Diese drey Stanzen sind im Auszug' übersetzt.


la Fontaine.


L' Epoux ne voulut pal pousser plus loin la chose;

Ni de sa propre honte être lui – même cause.

Il reprit donc sa forme, e dit à sa moitié:

Ah Caliste! autrefois de Damon si chérie,[61]

Caliste, que j'aimai cent fois plus, que ma vie,

Caliste, qui m'aimas d'une ardente amitié,

L'argent t'est il plus cher, qu' une union si belle?

Je devrois dans ton sang éteindre ce forfait:

Je ne puis; & je t'aime encor tout infidele:

Ma mort seule expiera le tort, que tu m'as fait.


»Der Gemahl wollte die Sache nicht weiter treiben, und nicht selbst die Ursache seiner Beschimpfung seyn. Er nahm also seine vorige Gestalt wieder an, und sagte zu seiner Hälfte: –« u.s.w. Man wird mir leicht vergeben, daß ich nicht weiter übersetze.


Wieland.


»Wie glücklich, ruft er, wär' in diesem Augenblicke

Ein jeder Andrer – als dein Mann!


Kein Donner-Keil, der an der Gattinn Seiten

Den besten Jüngling rührt und schnell zu Asche macht,

Sie leben läßt – sie, die nun jede Nacht,

Sonst nur gestört von seinen Zärtlichkeiten,

Mit seinem Schatten-Bild und ihrem Schmerz durchwacht;

Kein Wolken-Bruch, der wild und ungehemmt

Ein sichres Thal schnellrauschend überschwemmt;

Kein Stoß, der Rheas Riesen-Glieder schüttelt,

Kein Sturm, der Meer und Luft, Olymp und Acheron

Im Wirbel faßt und durch einander rüttelt,

Ist schrecklicher als unser Seladon,[62]

Im Augenblick, da Seladon verschwindet,

Und Procris ihren Mann in ihrem Buhler findet.«


Der Mann des Ovidius spricht, wie er in dieser Lage gesprochen haben würde, nachdem die Kraft seines Herzens durch die Liebeshändel mit hundert Corinnen verlodert war; es ist ein Zorn des Wohlstandes, ohne Gefühl der Liebe.

Ariost dringt geradezu in's Herz. Die Leidenschaft ist mit so starken Meisterzügen geschildert, nicht gemalt, sondern ausgegraben, wie die Schöpfer der Niobe und des Laokoons sie ausgegraben haben würden.

Das Blut des Mannes, der bey einem solchen Auftritte so predigen könnte, wie der Mann des la Fontaine, müßte Schneewasser seyn.

Wielands Beschreibung dieser Scene ist die schönste Poesie, man muß bedenken, daß er diese Geschichte nicht rührend, sondern komisch erzählen wollte, und folglich dieses Moment nicht, wie Ariost, behandeln konnte.

Indessen ist doch sein erstes Gleichniß rührend, und völlig passend. Ihr Seladon war wie vom Donner gerührt, und zu Asche gemacht bey dem Worte: dein Mann – und dieser lebt in dem folgenden auf, wie ein Orkan.

Ich erklare dieses Gleichniß deßwegen, weil ich beym ersten Lesen dessen Schönheit nicht so sehr empfand, als jetzt. Ich hatte damals so viel Gleichnisse gelesen, die[63] den wirklichen Gegenstand mehr aus der Phantasie des Lesers wegzauberten, als anschaulicher machten, daß meine Phantasie auch hier mit ihren jungen Fittichen über die Empfindungen hinwegflog, die dabey in's Herz hätten gehen sollen. Sie sollte die Gattinn und Procris bey dem Donnerkeile sehen; und bey dem Wolkenbruch und Orkan – eine verirrte Grazie und Procris und ihren Mann, und flog mit den Blitzen, und schwebt' über Donnerwettern.

Ariost und Wieland sind nicht nachzuahmen, man muß ein Genie geboren seyn, um etwas hervorzubringen, daß diesen Stellen gleich ist. Fleiß und Kunst hilft hier nichts.

Pergolesi lockt mit sieben Tönen bey dem & emisit spiritum – in dem Seelengemählde seiner Madonna, das nie übertroffen werden wird, und wenn die Genieen des Raphael, Correggio und Tizian in einem neuen Maler vereiniget wieder geboren würden – Pergolesi lockt mit sieben Tönen die süßesten Zähren aus dem Herzen, die ein künstlicher Musicus mit dem Winde der schönsten Läufe aufgetrocknet haben würde, ehe sie noch bis in die Augen gekommen wären; und so würde es jedem Andern gegangen seyn, der, ohne Genie, bloß durch Kunst, diese Scene wie Wieland hätte beschreiben wollen.

O ihr jungen Versemacher alle, die ihr nichts von Begeisterung bey diesen Stellen fühlt, hört auf, eure[64] Nerven zu peinigen, um Empfindung in Reime ohne Genie zu denken. Ihr werdet nie die Achtung schöner Seelen damit erhalten; und die Bewunderung der Journalisten, wenn ihr euch auch diese erkaufen oder erschmeicheln würdet, ist weiter nichts, als ein Opium, wovon euer Ruhm anfangs taumelt, aber bald darauf in Convulsionen stirbt.

Ariost verdient hier auch noch deßwegen den Vorzug, daß er den guten Ton so wohl zu beobachten, und das Mitleiden für seinen Helden zu erhalten gewußt hat, da er die Zauberinn Melissa dem Gemahle seine vorige Gestalt wieder geben läßt.


Levando allora del suo incanto il velo

Nella mia forma mi tornò Melissa.


Ob diese Handlung gleich mehr Leidenschaft als Klugheit bey der Zauberinn verräth, so kann man den Ariosto doch deßwegen nicht tadeln, weil er ja schon gesagt hatte, daß sie heftig verliebt in den Ritter war.

Der Mann der drey andern Dichter sagt seiner armen verführten Gemahlinn gerade zu: ich bin dein Mann!

Wieland allein hat diese Härte mit dem schönsten Colorit überzaubert. Cephalus konnte nach dem Plan seiner Erzählung sich nicht zärtlicher zu erkennen geben, als:


Wie glücklich wär' in diesem Augenblicke

Ein jeder Andrer, als – dein Mann!
[65]

Der Ritter des Ariosto ist so voll Grazie, so edel, rührt uns so sehr mit seiner verführten Unschuld, ohngeachtet einiger Unwahrscheinlichkeiten, die er leicht mit dem starken Glanze, den er den Leidenschaften giebt, wegblendet, gleich seinem Bruder Shakespear, daß Cephalus, obgleich mit den feinsten Zügen eines Apelles gemalt, gegen ihn verlieren muß.

Zum Ersatz aber ist Wielands Aurora eine Göttinn, und seine Procris eine Grazie, da die Gemahlinnen des Ariost und la Fontaine nur Erdentöchter sind, die sich von Edelsteinen und Gold ihre Unschuld entführen lassen. (Freylich waren die Ueberbringer auch keine plumpe, stark-knochichte Seeleute; der Ritter des Ariost ist nicht weniger verführerisch, als Seladon.)

Kurz, Ariost und Wieland, jeder hat seinen Mann nach seiner Absicht, als Meister behandelt. Wieland ließ den Cephalus seinen Fehltritt so schlecht entschuldigen, der Aurora so albern begegnen, bey der Dryas so kindisch sich aufführen, um Stoff zum Komischen zu haben, und er hat seinen Endzweck, die übertriebne Eifersucht aus der feinern Welt zu verbannen, eben so gut mit Spott erreicht, als Ariost mit Rührung; oder vielmehr mit Spott und Rührung zugleich. Er hat die Zeichnungen des Ovidius und Ariosto zu vereinigen und das Gemälde mit den Grazienzügen eines Apelles auszumalen gewußt. Der Dialog zwischen Aurora und Cephalus ist ein Meisterstück. Ueberhaupt[66] ist Wieland in Anlegung und Bearbeitung des Dialogs vorzüglich ein Meister; man kann die Beyspiele davon in Musarion, im Idris, Amadis, und fast in jedem seiner neuern Gedichte finden.

Anziehender ist ferner dessen Schilderung der Liebe des Cephalus, und macht die wechselseitige Treue weit wahrscheinlicher, als im Ariosto und la Fontaine. Ich kann mich nicht erwehren, hier eine Stelle aus dem Aminta des Tasso (gegen welchen Guarini nur ein glücklicher Witzling ist, es im Vorbeygehen zu sagen) zu übersetzen, welche mit dieser Wielandischen Beschreibung viel Aehnlichkeit hat. Aminta erzählt (1 Handl. 2 Scene) die Geschichte seiner Liebe.

»Da ich noch ein Kind war, so, daß ich kaum mit der kleinen Hand die Früchte von den gebogenen Aesten der Stauden abpflücken konnte, wurde ich der Vertraute des schönsten und geliebtesten Mädchens, das je seine goldene Locken in die Luft hat flattern lassen. Kennst du die Silvia? die Zierde der Haine, die Flamme der Seelen? Von dieser red' ich, ach ich Armer! mit dieser lebt' ich einige Zeit so vereinigt, als nie zwo Turteltauben seyn werden, und gewesen sind. Unsere Wohnungen waren vereinigt, aber vereinigter unsere Herzen. Wir hatten gleiches Alter, aber noch gleichere Gedanken: ich stellte mit ihr den Fischen Netze und den Vögeln Schlingen, und verfolgte die Hirsche mit ihr, und die flüchtigen Gemsen; wir theilten Vergnügen[67] und Beute. Während ich aber der Räuber des Wildes war, wurd' ich, ich weiß nicht wie, mir selbst entrissen. Nach und nach wurd' in meinem Busen, ich weiß nicht, von welcher Wurzel, wie ein Kraut, das von selbst sich pflanzt, ein unbekanntes Verlangen geboren, immer bey meiner schönen Silvia zu seyn; ich trank in ihren Blicken eine seltne Wonne, die am Ende, ich weiß nicht, was für eine Bitterkeit ließ. Ich seufzte oft, und wußte die Ursache meiner Seufzer nicht. Ich liebte, eh' ich verstand, was Liebe sey. Am Ende erfuhr ich es wohl.

Silvia und Phyllis saßen an einem Tage im Schatten einer schönen Buche, und ich bey ihnen; da kam eine kluge Biene, die Honig auf den beblühmten Wiesen zu sammeln flog, auf die Wange der Phyllis, auf die Wange, so roth, wie die Rose – stach sie, und stach sie noch einmal voll Begierde, die sie vielleicht, von der Aehnlichkeit getäuscht, für eine Bluhme hielt. Da fing Phyllis an zu klagen, ungeduldig über den scharfen Stich: aber meine schöne Silvia sagte: schweige, schweige, beklage dich nicht Phyllis! mit Zauberworten will ich den Schmerz der kleinen Wunde benehmen. Ehedem lehrte mich die weise Aresia dieses Geheimniß, und hatte dafür mein Horn von Elphenbein mit Gold ausgelegt, zum Lohn. – So sprach sie, und drückte die Lippen ihres schönen süßen Mundes an die gestochene Wange, und murmelte, ich weiß nicht, was für Verse, mit einem lieblichen Lispeln. O wunderbare Wirkung![68] sie fühlte sogleich den Schmerz entweichen, entweder durch die Kraft dieser Zauberworte, oder, wie ich glaube, durch die Kraft des Mundes, der Alles heilt, was er berührt.

Ich, der ich bis jetzt nichts anders wollte, als den lieblichen Glanz der schönen Augen, und die süßen Worte, weit süßer als das Murmeln eines langsamen Bachs, der den Lauf zwischen kleinen Steinen bricht, oder das Säuseln der Luft in den Zweigen, empfand nun in dem Herzen eine neue Begierde, diesen meinen Mund an den ihrigen zu schmiegen: und, ich weiß nicht wie; listiger und schalkhafter, als gewöhnlich (sieh' nur, wie Amor den Verstand uns schärft!) ersann einen edeln Betrug, mein Verlangen zu stillen. Ich that, als hätt' eine Biene mich in die Unterlippe gestochen, und fieng an, so zu jammern, daß die Arzney, die die Zunge nicht forderte, das Gesicht verlangte. Die gutherzige Sylvia hatte Mitleiden mit meinem Uebel, und erbot sich, mir die erdichtete Wunde zu heilen; und machte, ach ich Verlassener! tiefer und tödtlicher die wirkliche Wunde, als sie ihre Lippen an meine Lippen fügte; von keiner Blume saugen die Bienen so süßen Honig, als ich von diesen frischen Rosen saugte, obgleich die brennenden Küsse, die die Begierde, sich zu befeuchten, trieb, Furcht und Schaam im Zügel hielt, oder langsamer und weniger verwegen machte; aber während diese Süßigkeit mit einem geheimen Gifte vermischt zum Herzen stieg, empfand[69] ich so große Wonne, daß ich that, als ob der Schmerz von diesem Stiche noch nicht vergangen wäre, so daß sie verschiedenemal die Zauberey wiederholte.« –

Doch ich erröthe, da ich meine Sprache nach der süßen Melodie der Italienischen Verse lese, und es ist mir unmöglich weiter zu übersetzen. Hier ist das Original, wer es versteht, der les' es noch einmal; und wer es nicht versteht, der les' es, damit der süße Klang in seinen Ohren, wie Syrenstimme, ihn locke, auf der Stelle anzufangen, die Sprache der Grazien und Musen – die Sprache der Liebe verstehen zu lernen.


Essendo io fanciulletto, sì che a pena

Giunger potea con la man pargoletta,

A torre i frutti da i piegati rami

De gli arboscelli, intrinseco divenni

De la più vaga, e cara verginella,

Che mai spiegasse al vento chioma d' oro.

La figliuola conosci di Cidippe,

E di Montan ricchissimo d' armenti,

Silvia, onor de le selve, ardor de l'alme?

Di questa parlo, ahi lasso! vissi a questa

Così unito alcun tempo, che fra due

Tortorelle più fida compagnia

Non sarà mai, nè fue.

Congiunti eran gli alberghi,

Ma più congiunti i cori:

Conforme era l' etate,

Ma 'l pensier più conforme:[70]

Seco tendeva insidie con le reti

A i pesci, ed agli augelli, e seguitava

I cervi seco, e le veloci damme;

E 'l diletto, e la preda era commune.

Ma, mentre io fea rapina d' animali,

Fui, non so come, a me stesso rapito.

A poco a poco nacque nel mio petto,

Non sò da qual radice,

Come erba suol, che per se stessa germini,

Un' incognito affetto,

Che mi fea desìare

D' esser sempre presente

A la mia bella Silvia;

E bevea da' suoi lumi

Vn' estranea dolcezza,

Che lasciava nel fine

Vn non sò che d' amaro:

Sospirava sovente, e nan sapeva

La cagion de' miei sospiri.

Così fui prima Amante, ch' intendessi,

Che cosa fosse Amore.


Doch ich will nichts mehr abschreiben, damit jede Leserinn sogleich so gnädig seyn möge, dem unschuldigen, verliebten Aminta einen Besuch zu erlauben.

Die Veränderungen in der neuen Auflage sind immer von einer Meisterhand; verschiedene matte, mißtönende

Stellen sind weggelassen worden. Man kann daraus sehen, daß der Umgang mit Grazien auch den schönsten Geist noch bilden kann. Welch' eine wilde Dissonanz in der angenehmsten Melodie war es z.B. wenn die Göttinn sprach:
[71]

Was soll die Elegie erzielen?

Ihr liebtet euch, das ist das Ganze;

Wozu so vielen Wörterpracht?

Nehmt lieber den Roman bey'm Schwanze;

Ich wette gleich, er schließt mit einer Hochzeitnacht.


Wie glücklich ist die Veränderung des ungefälligen Stölzes in Spott in folgender Stelle:


Das Compliment, versetzt die Dame,

Ist minder schmeichelhaft, als frey –

mit dem Wörtchen neu für frey; u.s.w.


Die verschiedenen Lesearten können hier den jungen Dichtern mehr nützen, als alle diese, welche Burmann, Scaliger und dergleichen, im Schweiß ihres Angesichts und der Gedankenleere ihres Geistes, aus allen Bibliotheken von Europa gesammelt haben.

Ich muß wider Willen diese Anmerkungen beschließen; ich mögte sonst meinem Vertrauten, meinem geliebtesten unter allen Genieen, meinem Ariosto oder dem Vater der Musarion noch einige Lobsprüche aus den Quellen der Empfindung geben; und das Geständniß seiner Empfindungen, beym Anblick der höchsten Schönheit so gar, wird jetzt, ohne Persifflage, für Thorheit geachtet. –

Sie aber, meine schönen Damen, bekränzen ihren Wieland mit Rosen; den ewig grünenden Lorbeerkranz der

Musen hat Ariosto schon um seine Schläfe.

Fußnoten

1 Tassoni ist hier weit übertroffen:


Gli abbracciamenti, i baci, e i colpi lieti

Tace la casta Musa, e vergognosa;

Da la congiunzion di que' Pianeti

Ritorce il plettro, e di cantar non osa:

Mormora sol fra sè detti segreti,

Ch'al suggir de la notte umida ombrosa,

Fatto avean Marte, e'l giovane Tebano

Trenta volte cornuto il Dio Vulcano.


Secchia R. C. II. St. 57.


2 Dieser Dialog ist ein so vollkommnes Meisterstück, daß ihn jeder junge Dichter, als ein Muster ansehen kann, seine Kräfte darnach zu versuchen. Die Göttinn spricht in einem so guten Ton, als je eine Pompadour hat sprechen können.


3 Am Ende des siebenden Buchs der Verwandlungen.


4 Eine der schönsten Stellen, die seine Nacherzähler ihm gelassen haben.


5 Bis hieher ist alles griechisch schön, unverdorbene Natur, voll rührender Einfalt; und die Zeichnung zur ersten Hälfte der Wielandischen Erzählung.


6 Cant. 43. St. 38.


Quelle:
Wilhelm Heinse: Erzählungen für junge Damen und Dichter gesammelt und mit Anmerkungen begleitet, Lemgo 1775, S. 72.
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