I.
Der Bluhmenkranz.

[131] Dort, wo die Alster sich in engen Ufern krümmt,

Und rauschend ihren Lauf durch Büsch' und Wälder nimmt,

Wo deutsche Treue sich beym deutschen Handschlag findet,

Des Landmanns froher Fleiß für sich die Garben bindet,

Und alte Freyheit noch den angeerbten Huth

Frisch in die Augen drückt, und unbefehdet ruht;

Da ist ein kühler Ort, dem keine Schönheit fehlet,

Den Amor hundertmal der Eifersucht verhehlet,

Und dem allein entdeckt, der ihn zum Führer wählet.


Der Zephyr folgt mit Lust den kurzen Wellen nach,

Die hier in grüne Tiefen fallen;

Die Schäfer nennen's einen Bach,

Wir Dichter, fließende Krystallen.

Ein dick Gesträuch umschränkt die innre Spur,

Wohin oft Wunsch und Sehnsucht leiten,

Auf diesen Platz lockt uns die Liebe nur,

Und ihre Mutter, die Natur.
[131]

Hier saß Mathild'. Es eilet ihr zur Seiten

Ein kleiner Schwarm verbuhlter Fröhlichkeiten:

Der schlaue Scherz, die süße Schmeicheley,

Die Hoffnung selbst, und Reinhold kömmt herbey,

Der sie so oft besingt, so unverstellt verehret,

Und in der Einsamkeit sie bloß aus Liebe störet.


Auf seinen Wangen ist zu schaun,

Anstatt der Jugend Milch, ein lebhaft männlich Braun.

Den Augen fehlt kein Geist, noch Ehrfurcht den Gebehrden.

Er hat, was man gebraucht, nie sehr gehaßt zu werden.


Dies ist des Reinholds Bild, der seiner Schönen Hand

Voll auserles'ner Bluhmen fand,

Woraus sie einen Kranz zu knüpfen angefangen,

Den unerkauften Schmuck, mit dem nur Hirten prangen.


Allein, sobald sie hier den muntern Freund erblickt,

Will ihr die Arbeit nicht, so wie zuvor, gelingen.

Fast jeder Stengel wird durch ihr Versehn zerknickt,

Und Reinhold wird versandt, ihr frische herzubringen.

Er thut es; doch umsonst, und siehet mit Verdruß

Die Bluhmen, die er reicht, so wie die ersten brechen.

Dies, spricht er, ist zu viel! Ich will durch öftern Kuß

Die Unvorsichtigkeit bey jeder Bluhme rächen.

Sie lächelt, und schweigt still, fängt auch von neuem an.

Wiewohl, wer kann vorher des Schicksals Tücke wissen?

Da ihr auch der Versuch noch minder glücken kann,[132]

So wird der ganze Kranz, voll Ungeduld, zerrissen;

Und Reinhold giebt nunmehr gerechter Strenge Raum.

Wem wird im Küssen nicht die Rache süßer schmecken?

Er nähert sich, sie seufzt; er straft, sie murret kaum.

Hier schließt sich Busch und Wald, sie hülfreich zu verstecken.


Man sagt, sie thaten dies, was einst Aeneas that,

Als Dido und der Held in einer Höhle waren.

Was aber thaten die? Wer das zu fragen hat,

Der ist nicht werth, es zu erfahren!


Der Herr von Hagedorn hat diese Geschichte dem Vergier nacherzählt, in dessen Sammlung von Erzählungen sie eine von denen ist, die er den französischen Grazien erzählt hat. Das Original ist so schön, daß ich es ganz hierher setzen mögte, um Jeden selbst die Vergleichung machen zu lassen. Er beschreibt die Schäferinn:


Bras nud, qui les regards attire,

Cheveux moitié flotants & moitié renouès,

Habit leger, dont se seroient jouès

Les moindres vents, gorge assez découverte,

Couverte assez pour faire desirer.[133]

Pieds faits au tour, dont la blancheur offerte

Charmoit, brûloit, qui les sait admirer.


Alle diese Schönheiten hat der Herr von Hagedorn noch erhöht, und die französische Grazie in griechische verwandelt. – Worte, süßes Geschwätz, in Empfindungen.

Was Dido und der Held in einer Höhle thaten? wird den Damen ihr gutes zärtliches Herz sagen, und ihre Phantasie wird ihnen dabey ein so schönes Gemälde davon machen, daß es das Virgilische weit übertrifft.

Quelle:
Wilhelm Heinse: Erzählungen für junge Damen und Dichter gesammelt und mit Anmerkungen begleitet, Lemgo 1775, S. 131-134.
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