XI.
Der betrübte Wittwer.

[153] In Poitou, (ich will mit Fleiß die Gegend nennen,

Damit sich die befragen können,

Die, wenn ein kleiner Umstand fehlt,

Schon zweifeln, ob man wahr erzählt,)

In Poitou ließ einst ein Mann sein Weib begraben;

Allein, man merk' es wohl, man ist in Poitou;

Da geht es, wenn sie Leichen haben,

So prächtig, wie bey uns, nicht zu.

Man kleidet sie geschwind mit leinen Sterberöcken,

Und trägt den Sarg, ohn' ihn erst zuzudecken,

An den für ihn bestimmten Ort.

So trug man auch den offnen Sarg itzt fort;

Doch was geschieht, indem sie ihn so tragen,

Der Leichenweg gieng dicht an einer Hecke hin;

Hier ritzt ein Dorn die todte Frau ins Kinn.

Auf einmal fängt sie an, die Augen aufzuschlagen,

Und ruft: Wohin wollt ihr mich tragen?

Hier, deucht mich, hör' ich Viele fragen,

Wie kam die gute Frau zurück?

Hielt es der Mann auch für ein Glück,

Die Hälfte wieder zu bekommen,[154]

Die ihm der Tod zuvor genommen?

Wie mag ihm wohl gewesen seyn?


Das letzte wird man leicht erfahren.

Nach weniger, als sieben Jahren,

Büßt sie das zweytemal ihr junges Leben ein.

Der Mann gab ihr von neuem das Geleite,

Und gieng gesetzt an seiner Gattinn Seite,

Wie alle harte Bauersleute.

Allein so bald er nur die Hecke wieder sah:

So wies er erst, wie viel sein Herz empfände,

Er rung mit Thränen beide Hände.

Ach, rief er aus, da war es, da!

Kommt ja der Hecke nicht zu nah!


Gellert.

Quelle:
Wilhelm Heinse: Erzählungen für junge Damen und Dichter gesammelt und mit Anmerkungen begleitet, Lemgo 1775, S. 153-155.
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