XVIII.
Damon und Pythias.

[173] Wer hat den größten Schatz auf Erden,

Und wo mag er gefunden werden?

So frug, wenn man es glauben soll,

Der Grieche Damon einst den Delphischen Apoll.


Des Gottes Antwort war: Du hast ihn längst besessen,

Und weißt es nicht; vor deiner Thür

Wirst du ihn finden, traue mir.


Wie schnell fliegt Damon fort! jetzt geizig, erst vermessen.

Wie? denkt er, scherzt Apoll? Nein! Gottern ziemt kein Spaß!

Jetzt sieht er schon sein Haus; da steht sein Pythias.

Mein Theurer! ruft er ihm von weiten,

Ein Schatz, der größte Schatz liegt hier;

Komm eilends, halb gehört er dir.


Sie waffnen sich mit Grabescheiten,

Der Ort wird umgewühlt; sie graben in die Nacht,

Kein Feyerabend wird gemacht.

Kein Schatz erscheint. Doch seht! mit lächelnder Geberde[174]

Wirft Damon unverhofft sein Werkzeug auf die Erde.

O! rief er, bin ich nicht ein Thor?

Freund, den die Tugend mir erkohr,

Komm, Pythias! laß dich umfangen,

Du bist der größte Schatz! kann Damon mehr verlangen?

Ich billige des Griechen Satz:


* * *


Ein treu erfundner Freund, das ist der größte Schatz.

Quelle:
Wilhelm Heinse: Erzählungen für junge Damen und Dichter gesammelt und mit Anmerkungen begleitet, Lemgo 1775, S. 173-175.
Lizenz:
Kategorien: