14.

[102] Ist Liebe der gewaltige Weltenzeiger –

Mir zeigt er Stunden der Erlösung an –

In Höll und Himmel wüßt' ich keinen Geiger,

Der seinem Gang Begleitung spielen kann.

Der beste Virtuose wird zum Schweiger,

Den Bogen faßt ein rätselhafter Bann –

Unsäglich tief und fein noch möcht' er streichen

Und stockt vor einem Wunder ohnegleichen.


Ein kleines Bild von Vogeler-Worpswede

Hängt rechts vom Bücherbörte meiner Frau,

Das »Liebe« heißt: Da ruht des Lebens Fehde,

Ein heiliger Friede sank auf See und Au.

Auf reicher Bank, dran Liebessinnbild jede

Verzierung zu gedankenvoller Schau,

Wie Doppelherz mit Pfeil in Wappens Mitten,

Sitzt Mann und Weib, aus edelm Holz geschnitten.


Sie lehnt sich dicht an seinen breiten Nacken,

Und seewärts lauschen beide vor sich hin.

Hält er ein Buch? – Zierat von Blätterzacken

Schmückt sein gebauschtes Wams mit Bildersinn.

Vorn spielt die Harfe – Goldklang sonder Schlacken! –

In Gras und Blumen die Versöhnerin,

Ein Seelenantlitz mit versunknem Neigen –

Glücksvöglein singt aus zarten Birkenzweigen.

Quelle:
Karl Henckell: Gesammelte Werke. Band 1: Buch des Lebens, München 1921, S. 102-103.
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