2.

[81] Ein großes Mißtraun hat mich überfallen,

Auf Herz und Nieren prüf' ich jedes Wort.

Man sieht es blitzen, hört den Donner schallen,

Auf einmal schiebt sich die Kulisse fort,

Da liegt das Donnerblech in ganzen Ballen,

Der Bühne Feuerzungen sind verdorrt –

Der Pyrotechniker von Geistes Gnaden

Schleicht fort mit Zündschnur und verbranntem Faden.


Die Ehrlichkeit der Seele will ich wittern,

Mit oder ohne Reim, bloß das Getu,

Dies modisch unsolide Phrasenflittern

Berührt mich kläglich wie gestohlne Schuh

Von Königen an schäbigen Heckenrittern,

Vor Prunkfuß halt' ich mir die Nase zu –

Die Pose täuscht, mein Gott, welch fauler Zauber!

Man glaubt an Prinzen – und das Hemd nicht sauber!


Ist Dichtkunst denn ein Komödiantenkasten,

In dem der Mensch sich fürchterlich drapiert?

Bald Übermensch mit plumpen Nietzschequasten,

Der kraß mit Renaissance kokettiert,

Bald Säuseler auf Symbolistentasten,

Romantik mit Verrücktheit imprägniert,

Bald Junkersporen, Dörpertanzgebärde,

Selbst Eichendorff auf dem Theaterpferde!
[82]

Ihr Brüderchen, warum mehr scheinen wollen,

Als man nun grade mal von Haus besitzt?

Soll man dem Pomp von Pumpus Gnaden zollen

Die Ehre, die ihr schwindelnd euch stibitzt?

Hochstapler seid ihr, tut wie aus dem Vollen,

Indes ihr »Nichts!« aus allen Poren schwitzt ...

Man kennt euch doch und eure nobeln Schliche,

Grandiose falsche Grafen – Tinteriche!


Ach, hättet ihr zu Wert und Maß der Dinge

Die schlichte Liebe nur – es stände gut.

So aber seid ihr nichts als Dichterlinge,

Ob ihr auch hochmodern spottwichtig tut.

Ich kreuze nicht mit Hinz und Kunz die Klinge,

Denn epidemisch wuchert diese Brut.

Auf manchen setzt' ich anfangs viel Vertrauen

Und muß ihn jetzt beim Volk der Gaukler schauen.

Quelle:
Karl Henckell: Gesammelte Werke. Band 1: Buch des Lebens, München 1921, S. 81-83.
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