8.

[93] Dem Wildbach bin ich abends nachgegangen,

Der vom Gewitterregen lustig schwoll.

Aus dem verstärkten Flutgebrause klangen

Grundtöne, wie des Donners fern Gegroll.

Als so die Wasser schäumend niedersprangen,

War's, wie wenn frisch mir durch die Seele quoll,

Was ich in lustgeschwellten Torenstunden,

Durch Wald und Talschlucht schweifend, je empfunden.


Und mich durchrauschten dunkle Grundgefühle

Mit langentbehrter wonniger Gewalt ...

Da aus des Berggewässers Quellenkühle

Urplötzlich zitternd hebt sich die Gestalt,

Die wieder mein ist ... winkt vom feuchten Pfühle,

Mit einem Hauch gebietet sie mir Halt ...

Auf schmalem Brücklein bleib ich droben stehen,

Ins altvertraute Nixenaug zu sehen.
[93]

Ein Blick so tief, ein Gruß so unergründlich –

Ich bin ein Kind in grüner Wellen Schoß:

Ich weiß nicht, was im Staube fortkriecht sündlich,

Ich weiß nicht, was ein elend Menschenlos.

Ich spüre nur, was rein und ewig kindlich,

Und wähne mich der Föhre gleich und groß,

Die von dem rötlich tropfenden Gesteine

Des Hangs aufragt im letzten Purpurscheine ...

Quelle:
Karl Henckell: Gesammelte Werke. Band 1: Buch des Lebens, München 1921, S. 93-94.
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