Am Neujahrstage 1818

[73] Laß doch, Herr! in meinem Leben

Nicht dies Jahr vergeblich sein;

Gieb Verlangen und Bestreben,

Meine Seele dir zu weihn.

Laß mich nicht mein eigen sein!


Viele Jahre sind vorüber,

Die im Leichtsinn ich durchlebt;

Ach! jetzt wär' es mir viel lieber,

Hätt' ich ernst nach Dir gestrebt,

Nicht am Eiteln so geklebt.


Meine Seele liegt in Ketten

Unter schwerer Sünden Last,

Ringt und kann sich doch nicht retten

Aus der Sünde, die sie haßt

Und doch immer wieder faßt.
[74]

Löse Du, o Herr! die Ketten,

Nimm vom Herzen mir die Last.

Deine Hand nur kann mich retten,

Wenn sie mächtig mich umfaßt.

Laß mir weder Ruh' noch Rast!


Herr! in den vergang'nen Tagen

Hab' ich wenig dich geliebt,

Wollte nie Dein Kreuz Dir tragen,

Habe Dich so oft betrübt,

Mich im Guten schlecht geübt.


Ach! ich selbst kann's nicht vollbringen,

Und ich muß doch zu Dir hin;

Du, mein Gott, Du selbst mußt zwingen

Den verkehrten, eiteln Sinn,

Bis ich Dir geheiligt bin.

Amen, Amen,

In Jesu Namen!

Quelle:
Louise Hensel: Lieder. Paderborn 41879, S. 73-75.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Lieder (Ausgabe von 1879)
Lieder: Ausgabe von 1879
Lieder aus dem Nachlaß