Herr, hilf mir auf, daß ich meinen Feinden vergelte!

Neige Dich zu Deinem Kinde,

Sieh das Elend, sieh die Sünde;

Kannst Du es so irren sehn?

Herr, Du hast ja einst geschworen:

»Jedes Schäflein, das verloren,

Will Ich treulich suchen gehn.«


Ach, zu Dir nur will ich schreien,

Du nur kannst mir Kraft verleihen

Und den trüben Augen Licht.

Gieb mir Thränen, gieb mir Buße,

Herr, so fall' ich Dir zu Fuße,

Und die Sündenfessel bricht.
[50]

Ohne Dich will ich nicht leben,

Und zu Dir kann ich nicht schweben,

Denn mein Haupt drückt schwere Schuld. –

Zu Ihm hin mit offnen Armen!

Unbegränzt ist Sein Erbarmen,

Unermeßlich Seine Huld.


Keine Seele sei verloren:

Allen ist der Herr geboren,

Hat getragen Spott und Schmach;

Ist für Alle hingegangen,

Hat am blut'gen Kreuz gehangen

Ausgestreckt den ganzen Tag.


Ist zur Höll' hinabgestiegen,

That für uns im Grabe liegen; –

O, wo ist dein Stachel, Tod?

Auferstanden, aufgeschwebet

Ist Er auch für uns, und lebet

Und vertritt uns nun bei Gott.
[51]

Neige Dich zu Deinen Kindern,

Hilf, o Herr, uns armen Sündern,

Rette, was zu retten ist!

Ach, erhöre unser Sehnen,

Sieh das Ringen, sieh die Thränen,

Gott, der Du die Liebe bist! Amen.


Berlin, 1816.


Quelle:
Louise Hensel: Lieder. Paderborn 41879, S. 47-48,50-52.
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