Der Mutter zum 26. August

[331] Eilet, geht, ihr leichten Winde,

Zu der treuen Mutter zieht,

Bringt ihr dar zum Angebinde

Fernen Kindes Gruß und Lied.


Ja, das Lied, das ungesungen

Tief im Busen still erblüht,

Bis es aus den Dämmerungen

Klar hinauf zum Himmel zieht.


Denn von dort sind alle Lieder,

Die ein kindlich Herz erfand,

Und nach dort auch ziehn sie wieder

In ihr ewig Heimathland.


Lied ist wohl ein zartes Leben,

Das der Liebe reine Hand

Weiß aus Lust und Leid zu weben

In ein schimmernd Blumenband.
[332]

Webe, Liebe, all mein Sehnen,

All mein treues Denken drein,

Webe Grüße, Flehn und Thränen

Auch als Blumen mit hinein.


Und nun weht, ihr leichten Winde,

Bringt der lieben Mutter mein

Schnell den Gruß vom fernen Kinde,

Sprecht: »Sie denkt, sie denket Dein.«


Woll't das schönste Lied ihr singen,

Wißt, es heißt: »Ich liebe Dich,«

Woll't mein herzlich Flehn ihr bringen:

»Treue Mutter, denk' an mich!«


Woll't sie grüßen, woll't sie lehren:

»Liebe trennt und fernt sich nicht;

Im Gebet, in Wunsch und Zähren

Ist die Tochter stets um Dich.«


Düsseldorf, 1820.


Quelle:
Louise Hensel: Lieder. Paderborn 41879, S. 331-333.
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Lieder: Ausgabe von 1879
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