[Wohl gleicht das Leben einem Kranz]

[180] Wohl gleicht das Leben einem Kranz,

Drin Ros' und Dorn sich eint,

Wo Schatten bald, bald Sonnenglanz

Im Wechsellicht erscheint.


Es ist der ew'gen Liebe Hand,

Die so den Kranz gewebt,

Der hell, ein schimmernd Blumenband,

Um unsre Locken schwebt.


Doch hat der ew'gen Liebe Hand

Auch jenen Kranz gepflückt,

Der schwer, ein stechend Dornenband,

Die wunden Scheitel drückt.


Dir aber wünsch' ich einen Kranz,

Der ohne Dornen blüht,

Drin Rosenlicht und Sternenglanz

In süßem Wechsel glüht.


O könnt' ich deinem Lebensgang

Der Freuden viel erfleh'n,

Wie würd' ich froh, mit lautem Dank,

Hinauf zum Vater seh'n!


Er gebe noch der Tage viel

Zum frommen Pilgerlauf,

Und nehme einst am fernen Ziel

Dich selig zu sich auf.

Quelle:
Frank Spiecker: Luise Hensel als Dichterin. Evanston 1936, S. 180.
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