Die Vorsehung

[377] Und was soll mich Noth und Tod

Nur im Bilde schrecken?

Immer ja in Gottes Hand,

Wird sie stets mich decken,[377]

Wohin der Weg sich wende.

Wer war es, der auf diese Welt

Mich, eh ich noch war, gestellt?

Der schon für mich gedacht,

Mich, was ich bin, gemacht,

Mich der Welt, die Welt für mich bereitet?

Ein Vater, ein Gott!

Ewiger Gedanke!

Vater, Gott, so bist es Du,

Der stets mich leitet.


Einst in meiner Mutter Schooß,

Wen kannt' ich der Meinen?

Aus der tiefen Fremde kam

Ich in Fremde. Weinen

War meine erste Stimme.

War nie gekannt und doch gekannt,

Schon geliebt und Kind genannt,

Fand vor mir Vaterarm,

Fand vor mir Mutterbrust,

Fand selbst Schmerzen mir als Liebesbande,

Als Bande ans Herz

Väterlich bereitet.

Schwachheit, Noth, die Thräne selbst

Ward Band der Liebe.


Ewiger, der also mich

Ließ geboren werden,

Du bist vor mir, leitest mich

Auch zu bessern Erden,

Hast meinen Tritt gezählet.

Die Blüthe reifet dort zur Frucht;

Dort find' ich, was mein Herz sich sucht

Und hier nicht finden kann;

Du nimmst den Sprößling an,

Pflanzest weiter ihn auf Himmelsauen.

Sei's Veilchen im Thal

Oder Ceder Gottes, –

Alle, Alle blühen wir

In Gottes Reiche.


Quelle:
Johann Gottfried Herder: Werke. Erster Theil. Gedichte, Berlin 1879, S. 377-378.
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