Johanna Gray

[391] Eine Romanze zu ihrem Bildniß.


1777.


Ihr Menschenherzen, zart und weich,

Mein Trauerlied hört an!

Die Laute bebt und singt es Euch,

Wenn sie es singen kann.


Das Lied der schönen Blumenbraut,

Der Unschuldkönigin,

Die, ach! dem Thron kaum anvertraut,

Im Blute sank dahin;


Sank froh dahin, den süßen Tod

Der Weib- und Kindespflicht;

Ging hin ins Engelmorgenroth,

Aus Nacht und Traum zum Licht.


Johanna Gray das Mädchen hieß,

Aus ächtem Königsblut,

Ein Täubchen, hold und zart und süß

Und biederfest und gut.


Was Dichter Plato weit im Reich

Der stillen Schöne sah,

Aufkeimend lag's, wie rein, wie weich!

In ihrer Seele da;


Entspann (so webt der Himmel sich

Aus Morgenroth und Grau),

Entspann so rosenwonniglich

Und glänzt' im ersten Thau.


Als nun, o Schicksal! ihr Gespiel

Und Tugendbruder sie[391]

Zum Thron ernennet, ach, da fiel

Die Blume, fiel so früh!


Kön'g Eduard, des Volkes Lust,

Des Löwenvaters Sohn,

Und Lammes Sanftmuth in der Brust,

Er, der Religion


Nach Blut und Streit und Stürmen, sie

Rein seinem England gab

Und stille – Eduard ging früh

Und klagend in sein Grab.


»Wer soll, was ich gepflanzet nun

In Englands schönem Raum,

Wer soll, wer kann, wer wird es thun,

Erziehen mir den Baum?


Die zarte Sprosse! Weinend geh'

Und trostlos ich dahin;

Ich seh' den Sturm schon kommen, seh'

Die Blüthe schnell verblühn!«


»Nicht weine!« sprach Northumberland.

»Was, König, Du gehegt

Für Himmel und für Vaterland,

Ich weiß, wer sein noch pflegt.


Blick auf aus Deiner Krankengruft,

Sieh jenen Morgenmai!

Horch auf, und Englands Stimme ruft:

›Gieb uns Johanna Gray!‹«


Da gab er sie; und froh ging nun

Der sechzehnjähr'ge Held

In seine Ruh und konnte ruhn;

Denn sie, sie blieb der Welt.


Und Suffolk und Northumberland

Und Guilford, ihr Gemahl,

Sie knieten nieder: »Vaterland,

Des Königs Wort und Wahl,


Geschlecht, Pflicht und Religion,

Sie bieten, Königin,[392]

Die Krone Dir, der Tugend Lohn;

O Engel, nimm sie hin!«


»Die Krone?« sprach das holde Kind

Und bebte stumm zurück.

»Ach, wähnet Ihr mich so gesinnt?

Und nennt dies Erdenglück?


Die Krone! sie gebührt nicht mir;

Ich mag nicht fremden Raub;

Sie brennt, der Stirne Flammenzier,

Sie brennt mich in den Staub.


Die Krone! – Väter! mein Gemahl!

Mein süßer Guilford, Du,

Du sprichst, was Eduard befahl,

Und fühlst nicht meine Ruh,


Mein Wohlsein hier an Deiner Brust

Und gönnest mir den Gang

In meines Plato Himmelslust

Aeon-äonenlang?


Statt Kronenspiel und Rausch und Ball

Und Jagd und Pracht und Tanz,

Mein Guilford, schwebten wir im All,

In Gottes Sonnenglanz;


Und Ihr, Ihr rufet mich herab

Zu schnödem Kronenraub,

Gesetzesbruch, ins Ehrsuchtgrab,

Zu Laster, Koth und Staub!


Erbarmt!« Sie sprachen mächtiglich:

»Dich nannte Heinrich's Sohn,

Im letzten Hauche nannt' er Dich

Und gab Dir seinen Thron,


Ließ Dir sein Werk, was er gepflegt,

Was Niemand pflegen kann,

Wozu der Himmel Dich geprägt;

Johanna, nimm es an!


Und Gott will's! und Religion.«

Sie kniete fromm dahin:

»So nehm' ich, keiner Tugend Lohn,

Durchs Recht nicht Königin,
[393]

Gemahl und Tochter, nehm' ich an,

Was Ihr itzt auf mich zwingt,

Und geh' nur des Gehorsams Bahn,

Die bald – wohin mich bringt?«


Sie ging (so geht ein Lämmlein hin!)

Zur Krönung in den Tow'r

Und sieht im reinen, stillen Sinn

Schon ihre Kerkermau'r.


Zehn Tage war mit Kronenpracht

Der Engel angethan,

Da kam schon, sieh! in Höllennacht

Maria grimmig an.


Die Haufen flammten. Nicht geschont

Ward ruhendes Gebein.

Die Edlen starben. Ungelohnt

Sollst Du, Johanna, sein?


Nein, hör und hör es muthiglich,

Dein Urtheil ist gefällt:

Ein Tag, ein Blutschwert leitet Dich

Und Guilford aus der Welt.


Ein Tag, ein Blutschwert? Nein, das ist

Der Mörderin zu schön.

»Zusammen soll in edlem Zwist

Das Volk sie sterben sehn?


Zusammen soll am Blutaltar

Der Tod sie sanft umfahn?

Das sechzehn-zwanzigjähr'ge Paar

Auf einem Blumenplan?


Nein, Guilford sterb' allein im Weh,

Und sie seh' führen ihn

Zum Tod, und todt und blutig seh'

Sie seinen Leichnam ziehn,


Und harre Tods, der komme nicht!

Und bis sie blutend blaßt,

Umwölk' ihr Strahlenangesicht

Ein Priester, den sie haßt!
[394]

Und ungeboren sterb' in ihr

Des süßen Guilford's Brut

Und seh' den Tag nicht!« – Mördrin, Dir

Weh, Mördrin, Deiner Wuth!


Und doch vergebens wüthest Du,

Vergebens trennst Du sie.

Hast Macht Du über Engelruh?

Trennst Du im Tode? Nie!


Mein Guilford, einen Augenblick

Geh muthig mir voran,

Wo uns nicht Tod, nicht Mißgeschick,

Kein Feind uns trennen kann!


»Sieh mich nicht mehr, ob ich Dich seh'!«

Und sah zum Tod ihn ziehn

Und sah ihn blutend kommen – weh!

Da schwand, da sank sie hin.


Und harrte bang drei Tage lang

Und fühlt' ihr Kind und ihn

Am Herzen rufen, ging den Gang,

Ein Lamm, zum Tode hin.


Was weinst Du, Hauptmann meiner Wacht?

Ein Denkmal bittest Du?

Nimm diesen Spruch und hab ihn Acht,

Den Denkspruch meiner Ruh:


»›Verbrecherin, doch nicht vor Gott,

Aus Weib- und Kindespflicht,

Was ich gefehlet, büßt mein Tod

Und führt aus Nacht in Licht.‹«


Aus Nacht in Licht! Und sah so klar

Und fühlt' so droben sich,

Umschlang ihr langes, seidnes Haar

Zur Todesbinde sich.


»Ist dies das Beil, das Guilford schlug?

Es klingt so guten Klang!

Ruh, Sohn, am Herzen! – Nun genug!«

Und legt' das Haupt und sank.


Und Kind und Mutter drangen fort

Wie Blumenduft im Thau;[395]

Und Guilford's Geist empfing sie dort

Auf amaranthner Au'.


Ihr Menschenherzen, zart und weich,

Hemmt Eurer Thränen Bach!

Hienieden webt ein Schattenreich,

Das Lichtreich folget nach.


Ihr Menschenherzen, fest und gut,

Sucht nicht ein Erdenglück!

Die goldne Krone trieft von Blut,

Der Sturm wird Sonnenblick.


Verzweifelt nicht und hofft und traut!

Die Welt sieht immer Schein;

Was hin Ihr in das Ew'ge baut,

Scheint nimmer und wird sein!


Quelle:
Johann Gottfried Herder: Werke. Erster Theil. Gedichte, Berlin 1879, S. 391-396.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
Aus Den Ideen Zur Philosophie Der Geschichte Der Menschheit: Nebst Vermischten Gedichten (Hardback) - Common
Aus Den Ideen Zur Philosophie Der Geschichte Der Menschheit: Nebst Vermischten Gedichten (Paperback) - Common
Gedichte (German Edition)

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Meine Erinnerungen an Grillparzer

Meine Erinnerungen an Grillparzer

Autobiografisches aus dem besonderen Verhältnis der Autorin zu Franz Grillparzer, der sie vor ihrem großen Erfolg immerwieder zum weiteren Schreiben ermutigt hatte.

40 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon