Ueber die Asche Königsberg's

[243] Ein Trauergesang.


Ich sah! Der Seher bebt, es anzusagen;

Noch ist sein Auge Nacht! – Ist Volk um mich,

Das hör' und heul' den Trümmern Klagen,

Beasch' und bücke sich!


Denn ein Gesicht zur Zeit der Sabbathsstille

Sah ich, entzückt den Blick emporgewandt,

Sah in Abbadon's Wolkenhülle,

Das Feu'rschwert in der Hand;


Sank auf des Sturmes Flügelwagen nieder

Ein Todesengel! und es schrieb sein Stab

(Wie Belsazern, so zittern mir die Glieder!),

Er schrieb zum Flammengrab


Der Königsstadt ein Mene Tekel! »Heute

Jehovah's Wohnungen, seid, Tempel, heut

Sein Herd! – Dein Palastgold die Beute

Des Gluthstroms! – Asche seid!«


Da floß von Cherubs Schwert ein Funke nieder

(Wie jener Stern Abbadon), und sein Fuß

Sandt' Sturm ihm nach, schwarz am Gefieder;

Da ward der Funk' ein Fluß


Von Wirbeln himmelhoher Aetnaswellen

Und Bergen Rauchdampf, den der Würger sich

Zum Siegskleid umwand, und die Schwellen

Der Erde krümmten sich.
[243]

Da zischten nieder Güsse Funkenregen,

Bis hier und dort ein Pharos wie ein Heer

Von Riesen flammt', und allerwegen

Floß siebenfarbig Meer,


Auf dem der Sturmwind ritt und Schrecken sauste.

O weint und mischet mächt'gen Jammerton

Zum Ach, das die Verzweiflung brauste!

Zum Ach, das hier ein Sohn,


Ein Greis, ein Sterbender, ein Volk von Kranken

Aus Flammen wimmert, wie aus Moloch's Arm!

»Hör's, Cherub! laß Dir Thränen danken!«

Da wägt er – und sein Arm


Stürzt weiter. Es schlägt Mitternacht und Morgen;

Die Wage tönt noch fort, die Dämmerung,

Die Nacht, den Mittag durch zum Morgen;

Nun steht sie! – Endlich g'nung!


Kniet! – Mit der letzten Loh' fuhr er, umkreiset

Von dreißig Märtrern, auf! – Gott sah, da war

Die Stadt ein Babel, nackt, verwaiset,

Ein weiter Rauchaltar,


Auf dem Noth, Hunger, Frost, Harpyenheere!

Vielklauicht ruheten; sie ächzt, sie heult!

Da sprach er: »Gnade! was die Schwere

Des Zorns schlug, sei geheilt!«


Er sprach's! Macht ging von ihm; die Aschenstätte

Bewegte sich, des Schutts Gebein erhob

Sein heilig Haupt, um Preisgebete

Dem Rächenden zu weihn und Lob


Dem Wiederbringer! Denn er hebt Paläste

Mit Kränzen aus der Asch' zum Himmel auf:

So gehn am Auferstehungsfeste

Aus Asche Leiber auf


Und hüpfen froh ums Grab in Strahlenrüstung;

So hüpft – der Seher sieht's! – so hüpfst Du Stadt

Bald, statt des Gräuels der Verwüstung,

Um eine neue Stadt!

Quelle:
Johann Gottfried Herder: Werke. Erster Theil. Gedichte, Berlin 1879, S. 243-244.
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