An meine künftige Gattin

[442] Fragment.


O Du, die Zeus im schönsten Morgenbilde

Zur Jugendgattin mir beschied,

Sei, wo Du immer seist, Dir sing' ich; lächle milde,

Erkenne Dich und küsse hold dies Lied!
[442]

Du Schönheitsbild, das aus der ersten Blüthe

Aus Zeugenslust zur Lust entsprang,

Du, die als Grazie im Aug' der Mutter glühte

Und an ihr Herz mit frohem Wallen drang!


Du, die vom Himmel her die schönste Seele

Zur Heirathskrone mit bekam,

Bekam zur Bildnerin, die in der Herzenshöhle

Das schönste Blut der Mutter um sich nahm!


Als Bildnerin, die aus den Othemzügen

Der Mutter sanften Stoff genoß

Und, freie Schöpfrin, sich zur Ehre voll Vergnügen

Den schönsten Leib als Hülle um sich schloß,


Den Leib, schön wie sie selbst, voll freier Größe,

Wie ein Gedank empfindungszart,

In dessen Blick und Stirn sie sich in holder Blöße

Als Königin der Minnen offenbart.


Wo wohnst Du, Göttin, daß durch edle Thaten

Der Jüngling um Dich glüh', um Dich

Als seine Lorbeerkrone eifre? –

Quelle:
Johann Gottfried Herder: Werke. Erster Theil. Gedichte, Berlin 1879, S. 442-443.
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