Empfindungen der Freundschaft

[405] Du, um des ersten Othems, der Dich nannte,

Um jenes sanften Feuerblicks,

Der Dich mit Gottes Finger in mich brannte,

Um alles Freundschaftsglücks,


Das wir – doch fühltest Du's, wenn diese Thräne,

Der Seele Blut, sich drängte hin

Zum Freundesbusen? O dring, blut'ge Thräne,

Ans Menschenherz denn hin,


Durch Stein und Busen! Wie des Blutes Stimmen

Zum Mörder rufen: Tod und Blut!

So tödt ihn Du, daß, wenn in ihm verglimmen

Die Träume wilder Wuth,


Das Bild ersteh', da ich, mit ihm zerflossen,

Ihn küßte, sprach, las und empfand,

Empfand Dich, Gluth! – O, bist Du nicht verstoßen

Ins Höllenmarterland


Der Eskimos und rasender Oreste,

So hör! und hörst Du nicht, gespießt

Wie Eskimos und rasend als Oreste,

Fluch' ich dann Deiner List,


Reiß' aus mein Herz, Dir, Unding, falsch gepräget,

Zertret' in seinem Blut Dein Bild

Und jauchze Freundesrache! Doch – wie es schläget,

Weil doch noch Freundschaft quillt!


Quelle:
Johann Gottfried Herder: Werke. Erster Theil. Gedichte, Berlin 1879, S. 405.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
Aus Den Ideen Zur Philosophie Der Geschichte Der Menschheit: Nebst Vermischten Gedichten (Hardback) - Common
Aus Den Ideen Zur Philosophie Der Geschichte Der Menschheit: Nebst Vermischten Gedichten (Paperback) - Common
Gedichte (German Edition)