Ich bewundre nichts

[440] Nein, ich bewundre nichts! In unsrer kleinen Welt

Ist jedes Kleine groß, das groß ins Auge fällt.

In unsrer Welt von Staub ist Alles Gold, was glänzet,

Und Lorbeer jedes Kraut, wenn es den Großen kränzet.

In unsrer wüsten Welt ist groß, was selten ist,

Ist jedes Neue schön, ist werth, was man vermißt.

In unsrer Schattenwelt glänzt das, was nur nicht blendet,

Und wenn ein Meteor nur gleißt und nur das Auge schonet,

Als Sonne starrt es gleich der laute Pöbel an,

Und Kinder beten es als unsern Herrn Gott an.


Freund, ich ging durch die Welt; so weit ich sie erblickte,

Sah ich, was mich zerstreut', fand nie, was mich entzückte,

Viel, was die Sinnen täuscht, nichts, was die Seele nährt,

Viel, was man wünscht, erschwitzt, nicht braucht und dann begehrt.

Drum, ich bewundre nichts und seh' von der Weltweisen Höhen,

Seh' unsern Sonnenstaub, auf dem wir Milben gehen.


Quelle:
Johann Gottfried Herder: Werke. Erster Theil. Gedichte, Berlin 1879, S. 440.
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