Noth und Hoffnung

[435] Ein Gespräch.


Nach dem Griechischen.


A.


O weh mir, Götter, daß ich Noth und Gram,

Zwo Furien, zu Schwestern mitbekam!

Die eine nagt von außen, diese nagt von innen.

Wann werd' ich Ruh im Spiel der Welt gewinnen!


B.


Dank, Götter, die Ihr mir zur Schwester Armuth gabt

Und mich mit Hoffnung, süßer Gegengabe, labt!

Die Armuth ruft mich auf zu edlen Thaten,

Der Hoffnung Kuß läßt sie gerathen.


A.


Wie lange schon verwünsch' ich mir die Noth

Und wünsche nichts als Dich, mein Freund, den Tod!

Umsonst! weil stets die schwarze Noth verweilet,

Und nirgendsher ein Strahl der Hoffnung eilet.


B.


Durch Zögern weckt die Sonn' Auroren mit dem Glück

Und labet uns mit Hoffnung das Geschick.

Verziehe, Traum, und laß uns spät erwachen!

Verzeuch, o Sonn', und laß Auroren lachen!


A.


Oft tödtet Noth, stets aber macht sie matt;

Die süße Hoffnung labt, doch öfter macht sie satt.

Rief auch die Noth dem Jüngling zu: »Sei weise!«

So ist doch Trost als Wunsch nur ein Genuß der Greise.


B.


Der Jüngling ist in Noth zu sehr ein Greis,

Im Hoffen zu sehr stürmend, und sein Wunsch zu heiß.

Ich lege meine Arbeit der Noth und Zeit zu Füßen,

Und von der Hoffnung denke ich den Sieg noch zu genießen.


A.


Nein, seit Pandora alle Noth verlor,

Verflog die Hoffnung; Hoffer, Du bist Thor!

Zum Himmel ist die Hoffnung und das Glück gestiegen,

Und Noth und Wahn blieb an der Erde liegen.


B.


Nein, als Pandora ihr Geschenk entschloß,

Da war's, daß Hoffnung ihre Früchte uns heruntergoß.[435]

Geflügelt hebt die Noth sich von der Erd' zum Himmel wieder,

Und Hoffnung sinkt als Trost zur Erde nieder.


A.


Wer lebt von Hoffnung? Aber in der Noth,

Wie Viele finden ihren Tod!

Nein, dieses Lied will nur der Noth ich weihen;

Noth, tödte mich! so darf kein Wahn mich freuen.


B.


Wer stirbt von Noth, wenn ihm die Hoffnung lebt?

Und wie so Viele finden in der Hoffnung Leben!

Nein, dieses Lied will ich der Noth und Hoffnung weihen;

Noth, daß Du mich erhebst, laß Hoffnung mich erfreuen!


A.


Halb bin ich roth

Und halb in Noth!

Die Sonne zürnt, daß ich sie noch anblicke,

Die Hölle, daß ich ihr noch Seufzer schicke.


B.


Halb bin ich in Noth

Und halb ein Ton, der lebt und ist nicht todt!

Die Noth macht mitleidswürdig, was ich habe,

Und Hoffnung rettet es durch eine kleine Gabe.


A.


Halb bin ich todt

Und halb in Hungersnoth!

O König, rette, was ich habe,

Ich – o ein halber Ton – durch eine kleine Gabe!


B.


Du schmähst den Pluto und der Sonne Licht,

Den, daß Du ihm entläufst, dies – denn es will Dich nicht.


A.


Die dürre Noth ist lahm, die Hoffnung blind.

Sie führen uns; sieh, wie wir Krüppel sind!


B.


Ist Hoffnung blind, und kann die Noth nicht gehn,

So müssen Beide doch vereint bestehn.


A.


Was lehrt nicht die Nothwendigkeit!


B.


Sie begegnen sich und sind einander zum Dienst bereit.


A.


Die Noth zehrt den Stamm ab, und die Blätter

Vergehn durch ein Wetter.


B.


Die Wurzel bleibt,

Die neue Aeste treibt.


A.


Alles ist sterblich; wir müssen es schwinden sehn!


B.


So ist die Noth auch sterblich; wir müssen sie vorbeigehn.


A. und B.


Drum will ich als sterblich die Noth ertragen

Und als ewig lebend die Hoffnung wagen.

In Noth sei ich Anakreon,

In Hoffnung Sophron Sohn!


Quelle:
Johann Gottfried Herder: Werke. Erster Theil. Gedichte, Berlin 1879, S. 435-436.
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