Ostergesang

[425] Strophe.


Er ist Sieger, der mit dem Tode rang,

Die mächt'ge Lanze durchlief, mitten im Herzen

Umwand, sie, die jede Nerv' mit Schmerzen

Der Hölle durchgrub, zerbrach! – Triumph sei Dank!

Denn er schrie: »Vollbracht!« und sank

Hin. Und Du wirfst dem schlafenden Sieger

Bande der List um, Satanssklave, Tod?

Siegelst ihn in die Felsenspalt' als todt

Und bettest über sein Haupt Henkerskrieger?

Den Heil'gen Gottes zu bestreun

Mit nagendem Moder, kommst Du, Tod?

»Der Tod ist über Dir, Simson-Gott!«


[425] Antistrophe.


Gott sprach's! – In der Höll' hört' er's, entsprang

Dem Erdenbauch als Erstgeborner! Zerrissen

Sind Todesstricke! Faden zu seinen Füßen!

Hieltet Ihr ihn, da in den Othemgang

Des entrauschten Riesen Leben drang?

Sich fühlt' er, und fuhr das Erderbeben

Herab in den Höllenpfuhl wie zückender Blitz,

Zersprengte den Kreis wider ihn um Belial's Sitz!

Kannst Du, zertretnes Schlangenhaupt, Dich heben?

Schaugetragne Hölle, wo ist Dein Sieg?

Vom Sündengift entmarket, glänzt, sieh, Tod!

Dein Stachel in seiner Ferse! Denn Gott


Epode.


Gab Triumph! Welt, hüpfe, wie Reh im Thau,

Verjüngt! – Dein Nichts, sein Moder! – Er sah ihn nicht

Und stützte Deiner bebenden Angeln Bau,

Da der Morgenstern, blaß am Gesicht,

Noch das Schuldsiegel sah; und die dritte Sonne schon – –

Gelobt! Ihr Sabbathsbote durchs Morgenthor

Fand Gräber zerbrochen und Siegel und Thor!

Wo er lag, da lag er nicht mehr!

Steh still ums Grab, tobender Könige Heer!

»Wenn er liegt, denn steht er nicht mehr!«

Er stehet: bebt! Sein Schemel ist Eu'r Thron,

Sein Scepter (küßt die Ruthe!) droht Gericht,

Eurem Nacken sein Fuß! – denn Ueberwinder ist er!


Strophe.


Es brachen die Himmel und träufelten ab,

Wie Thau, aufs Grab die Engel des Siegs. Zusammen

Stürzten die Römer wie todt; denn Mahanaim's Flammen

Bekränzten, Siegespforten, das Grab,

Und dem Heiligen fielen die Todesband' ab!

Denn: »Er lebt!« so sprach der Glanz; da fuhren

Aus sich die Weiber, das Oel aus der Hand,

Und liefen! »Ich bin's, der Euch erstand. –[426]

Maria!« »Bist Du's, Rabbuni?« »Ich fahre

Zu Gott auf; doch Euch will ich sehn.«

Sie sahn ihn; Frieden umher blies er: »Ich überwand!

Hier nehmt der Sünder Lösungsband,«


Gegenstrophe.


»Die Beute der Schlacht, wie der Weltgurt breit,

Allmächtig, und knüpft die Erd' an Himmel!«

Da flogen sie, wie ins Nachtgetümmel

Siegesfeuer, und wo die Zunge Flammen streut,

Siegt des Erweckten Herrlichkeit!

Umtanzt, umtanzt, Lahme, sein Grab! Ihr Stummen, lallet

Das mächt'ge Säuglingslied! Dreht, Blinde, den Blick

Von der Sonn' auf unsern Reihn zurück,

Von dessen Echo des Erdsaums Ufer schallet,

Den er aus dreitaglanger Nacht

Wie Morgenroth zum Siege beglänzt! – Mein Blick


Epode.


Wird weit! Von oben und unten des Balls,

Von früh und spät kommt fluthende Wallfahrt, streut

Myrrh' und Lorbeer ans Grab und zieht durch seines Falls

Schatticht Lager herauf, durchs Lichtthor, weit

Ueber sterbender Augen Sonnenbahn,

Zum Thron, den der Gottmensch ihnen erringt,

Der ihre Palm' zu seiner Siegskron' schlingt

Und prangt; sie prangen! – doch hoch wagt' ich's empor,

Der außen an Aegyptens Drangsalsthor

Einen Psalm sang, mitten im tanzenden Chor.

Hallelu! des Osterlamms Fahn'

Hat sich dieser erste Frühlingstanz geweiht!

Denn ihn, den welken, trug, o Christenheit,

Dein Jubel! Hallelujah!


Quelle:
Johann Gottfried Herder: Werke. Erster Theil. Gedichte, Berlin 1879, S. 425-427.
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