Die Pfunde

[502] Ein Edler zog fern über Land,

Daß er sein Reich einnähme[502]

Und dann, gekrönt mit Sieg und Huld,

Ein Vater wiederkäme.

»Wem soll ich meinen Schatz vertraun?«

Sprach er zu seinen Treuen.

»Nehmt, handelt! und ich komme bald;

Es soll Euch nicht gereuen!«


Sie handelten; er kam noch nicht,

Ein Theil ward matt und müde.

»Und kommt er denn? Er kommt noch nicht!«

Sie schlummerten in Friede.

Er kam! Auch in der Ferne war

Sein Herz tief an den Treuen.

»Legt dar nun,« sprach er, »Pfund und Pfand!

Es soll Euch nicht gereuen!«


Mit Freuden trat der Erste dar,

Für eins mit zehen Pfunden.

»Hier, Herr, ist Deiner Güte Pfand,

Und was ich Armer funden.«

»Dank, treuer Knecht, im Kleinen schon

So großer, reicher Treue!

Komm, König über Länder zehn,

Zu Deines Herren Freude!«


Demüthig trat der Andre dar,

Für eins nur fünf an Pfunden.

»Hier hast Du, Herr, Dein edles Pfand;

Wie wenig hat es funden!«

»Dank, Treuer, im Geringern schon

So großer, reicher Treue!

Herr über fünf der Länder, komm

Zu Deines Herren Freude!«


Mit Beben naht' der Dritte sich,

In Trotz verhüllt sein Beben.

»Herr,« sprach er, »nimm Dein Pfund und Pfand,

All, was Du mir gegeben!

Ich kannte Dich wol, harten Mann,

Der erntet ungesäet

Und fremden Schweiß und saures Gut

Auf 's Armen Aue mähet.


Drum hatt' ich, Dir zu wuchern, Zorn;

Hier, Harter, ist das Deine![503]

Die sichre Erde barg es Dir;

Dies Schweißtuch ist das Meine.«

»Dein Mund spricht selber Dir Gericht,

Untreuer meiner Knechte;

So wußtest Du mich harten Mann,

Und wie so hart ich rechte,


Und übtest nicht, was Du gewußt,

Knecht, Deines Herren Willen,

Des harten Herren letztes Wort

Mit Wucher zu erfüllen?

Nehmt hin von ihm sein treulos Pfand!

Dem Reichsten sei's gegeben.

Wer nicht hat, büße, was er hat;

Wer hat, dem wird gegeben.«


Zwo Stufen gehn auf und hinab

Zum Himmel und zur Hölle:

Wer hat, gewinnt bis auf zum Thron;

Wer nicht hat, seine Stelle

Sinkt immer tiefer, tiefer ab.

Herr, laß mich Deiner Gaben

Geringste brauchen treu und ganz,

Und ich werd' Alles haben.


Der Engel, der die Perlen flicht

Zu unsrer Siegeskrone,

Der ist es, der die Thränen zählt

Und sammelt uns zum Lohne;

Was wir im Dunkeln hier gesä't

Und hielten längst verloren,

Das blüht dort Ernte tausendfach,

Mit uns dann neugeboren.


O Wahrheit, Wahrheit, Ewigkeit!

Du reifst in Dorn und Blume;

Das Staubkleid fällt, das Alles hier

Vertäuscht zu Hohn und Ruhme.

Gewissens-Pflicht-Vergeßlichkeit,

Du feige Heuchlerhülle,

Hin, hin bist Du! Wie dränget sich

Auf uns der Wahrheit Fülle!
[504]

Verleumder, Feinde, Neider, wo,

Wo sind itzt Eure Schatten?

Seht, wie sich Licht und Wahrheit liebt,

Und Treu und Huld sich gatten!

Zu Freunden drängt sich Freund und Freund,

Die Gleiches hier erlitten,

Erwünscht, gewirkt, verloren und –

Und sich die Kron' erstritten.


Hier trennten Nacht und Nebel sie,

Jahrhunderte und Lande;

Dort Alle Glieder, Brüder nun

An eines Herren Pfande;

Ihr Wille fleußt wie Sonnenlicht

Aus aller Welt zusammen;

Zusammenflammt da ihr Gebet,

Ihr Mühn in hellen Flammen.


Elias, Moses werd' ich sehn

Mit ihren tausend Pfunden,

Und Paulus, Luther vor mir stehn

Mit ihren hundert Pfunden.

O, legt' ich freudig schüchtern dann

Nach Euch mein Quentlein nieder

Und fände, grüßte, fühlt' Euch dann

Mir Väter, Freund' und Brüder!


»Du locktest und Du hobest mich,

Warst bei mir im Gebete,

Du strafetest, Du halfest mir,

Daß freudig vor ich trete!

Ich dank' Euch meine Seligkeit,

Ihr schön verkannten Seelen!

Wir sind itzt Glieder, Brüder nun

Und sind es sonder Wählen.«


Herr, Seligkeit und Himmel liegt

In jeder Deiner Gaben;

Wer neidet und verscharret sie,

Verdient er, mehr zu haben?

Wer treu ist, Alles hat er schon.

Daß ich mich ewig freue,

O Geber, und mir Alles sei,

Gieb mir im Kleinsten Treue!


Quelle:
Johann Gottfried Herder: Werke. Erster Theil. Gedichte, Berlin 1879, S. 502-505.
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