Lobgesang

[459] Sing, o meine Seele, Deines

Unsichtbaren Königs Reich!

Von der Erd' hinauf gen Himmel,

Werd' ihm im Triumphe gleich!

Wie die Unschuld, wie die Wahrheit,

Still und ewig ist sein Reich.


»Ehre sei Gott in den Höhen!

Fried' auf Erden! Aller Welt

Heil!« so singen Gottes Engel

Unter ihres Königs Zelt.

Nächtlich stille, hell im Dunkel,

Also kommt, so herrscht der Held.


Neiget Euch ihm, Erdenkronen,

Sinket nieder in den Staub!

Sklavenjoch ist Eure Fessel,

Euer Lorbeer blutig Laub;[459]

Eure Babel wird zu Trümmer,

Euer Purpur Wurmesraub!


Aber ewig, wie die Sonne,

Ist der Wahrheit gülden Licht.

Auch das Schicksal überwindet

Seine Ruh und wanket nicht;

Seine Demuth, seine Liebe

Ist's, die Noth und Tod zerbricht.


Oeffnet Euch, Ihr ew'gen Pforten!

Denn ein Sieger zeucht heran.

»Wer ist er, der stille Sieger?

Blut bezeichnet seine Bahn!«

Es ist Christ, der Wahrheit König,

Der ein Geistesreich gewann.


Alle Weisen, alle Guten

Ziehn ihm im Triumphe nach,

Sie, wie er, im Blutespurpur,

Sie, wie er, voll schöner Schmach.

Freiheit ist's, was sie errangen,

Kette, was ihr Arm zerbrach.


König, laß von Deiner Salbung

Einen Odem mich durchwehn

Und die Stille Deines Reiches

Mir durch Herz und Seele gehn!

Laß mich sterbend, laß mich lebend

Mit Dein Reich von ferne sehn!


Quelle:
Johann Gottfried Herder: Werke. Erster Theil. Gedichte, Berlin 1879, S. 459-460.
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