Die Farbengebung

[99] Ein Gemälde der Angelika Kaufmann.


1788.


Nicht vom Chamäleon, so oftermalen

Er auch sein Kleid verändert, wunderschnell,

Nein, um der Gottheit Abglanz uns zu malen,

Nahmst Du die Farben aus der Farben Quell,

Tauchst in Aurorens, tauchst in Iris' Strahlen

Den Pinsel, und Dein Blick wird himmlisch hell,

Zu sehn, wie aus dem Lichtstrom Bäche fließen

Und Strahlen sich in Farben leise gießen.


Wer hob die Hand Dir? Wer erhob zum Himmel

Den Blick Dir, himmlische Begeisterung,

Daß über Nebel, über Erdgetümmel,

Im sanften Fluge, mit der Taube Schwung

Du aufsteigst, fühlst in Dir und trägst den Himmel

In uns mit täuschender Beseligung,

Und lässest, was Du dort in lichten Höhen

Der Gottheit sahst, uns hier in Schatten sehen?


Ein Gott war's. Und die Blume Dir zu Füßen

Weiht ihren Brautschmuck Deiner Schwesterhand.

Ein Lüftchen weilt, die Körper zu umfließen,

Die Du erschaffst, und wird ein Brautgewand

Der Seele, die, sich sichtbar zu genießen,

In Deiner Seele Aetherhüllen fand.

Du malest, was Du bist; auf Edens Auen

Giebst Du in Menschen Engel uns zu schauen.


Quelle:
Johann Gottfried Herder: Werke. Erster Theil. Gedichte, Berlin 1879, S. 99.
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